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Paradiessucher

Paradiessucher

Titel: Paradiessucher
Autoren: Rena Dumont
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sie von der Volksschule zum Gymnasium. An das Gymnasium will ich nicht denken, es ärgert mich, macht mich noch nervöser, als ich ohnehin schon bin. Es lacht mich aus, lässt mich nicht los. Zu präsent ist es, das blöde Gymnasium. Da ist nichts zu machen. Schule ist einfach scheiße. Die macht mich kaputt.
    Ich will an meine Fluchtpläne denken. Ich will mir Mut machen. Meine Lider werden schwer, ich freue mich leise, vielleicht nicke ich ein und vergesse die ganze Aufregung. Im gleichen Augenblick durchzuckt ein Stromschlag meine Glieder, die Angst, keine Ahnung wovor, rüttelt mich aus der Schläfrigkeit, und ich bin wieder am gleichen Punkt angelangt wie vorher. Ich kann nicht schlafen. Na schön, wo bin ich in meinen Gedanken stehen geblieben?
    Ich will Schauspielerin werden.
    Bei der Aufnahmeprüfung fürs Konservatorium in Brünn, die ich vor zwei Jahren gemacht habe, musste ich drei Monologe, zwei Erzählungen und drei Lieder vorspielen. Das Vorklimpern auf einem beliebigen Musikinstrument nahm ich nicht ernst. Mein Schauspiellehrer von der Volksschule hatte mir die Rolle der »Káça« aus einem böhmischen Märchen empfohlen. Den Autor habe ich vergessen. Ein Bauernmädel verliebt sich in den Teufel, reitet auf seinem Rücken und macht ihm das Leben zur Hölle. Das ist im Groben die Story. Denke ich zumindest. Ich habe das Stück nie zu Ende gelesen, es war zu langweilig. Das erzählte ich meinem Schauspiellehrer natürlich nicht, der hätte einen Koller gekriegt und mir eine Predigt gehalten.
    Ich hasste diese Rolle. Die »Káça«. Zu intim. Auch wenn sie sicherlich gar nicht so intim war, ich mochte sie nicht spielen. Wieso ausgerechnet ich Schauspielerin werden möchte, ist mir rätselhaft. Ich hasste alle meine Rollen.
    Der zweite Monolog, den ich vorgesprochen habe, war nicht der Rede wert. Ein ausgedachter Text meines Schauspiellehrers. Die Story war noch blöder. Eine verspielte Katze redet mit ihrem Wollknäuel. Diese Rolle kam gar nicht dran. Gut so. Der dritte Monolog geistert mir dafür immer noch im Kopf herum. Das Stück hieß: »Das Betreten des Grundstücks ist untersagt«. Von Tennessee Williams. Auch diese Rolle widerte mich an, wegen ihrer »sexuellen Tendenzen«. Es war mir unangenehm, sie zu spielen, sie kam aber gut an.
    »Willie« ist eine 13-jährige Waise der 30er-Jahre in Amerika. Sie treibt sich auf Bahnhöfen herum, ist bettelarm, träumt davon, als Prostituierte zu arbeiten, genau wie ihre Schwester. Ob sie in der Gosse verreckt oder an Tuberkulose stirbt, weiß ich nicht. Ich habe es nicht zu Ende gelesen. Mich mit solchen beschämenden Themen auseinanderzusetzen und mich dann auch noch dem »Kern der Szene« zu öffnen, wie es mein Schauspiellehrer nennt, kostete mich enorme Überwindung. Seit meinem fünfzehnten Lebensjahr geht mir diese »Willie« auf den Geist. Ich habe es meinem Schauspiellehrer nie verziehen, dass er mich »Willie« hat vorspielen lassen. Wegen seiner »ekelhaften« Fragen habe ich ein paar Mal alles hinschmeißen wollen und war fest entschlossen, mich nie wieder blicken zu lassen. Drei Tage später kam ich wieder angekrochen.
    Er machte nichts falsch. Er war absolut aufrichtig. Die »Willie« war eine gute Rolle und seine Fragen waren nicht ekelhaft. Ich war das Problem. Ich war und bin es nicht gewohnt, über Persönliches zu sprechen. Ich bin verklemmt. Verkorkst.
    Ich bin immer noch wach. Meine Augen brennen vor Müdigkeit. Mutter schläft auch nicht gerade ruhig, ständig wälzt sie sich hin und her. Jetzt fällt mir ein, warum ich die Rolle der »Káça« nicht ausstehen konnte. Sie wollte den Teufel unbedingt heiraten. Heiraten! Welch obszöne und pornografische Idee! Widerlich.
    »Wieso willst du ihn heiraten? Was gefällt dir an dem Teufel? Konkret? Beschreibe, wie er aussieht. Gefällt dir, dass er dich auf dem Rücken trägt? Wie stark ist er? Gefällt dir seine Stärke? Wie hört sich seine Stimme an? Konkret!« Und so ging es ständig! Immer nur dieser Quatsch! Suche den inneren Vorgang, sagte er. Mein Schauspiellehrer. Nein, genau das wollte ich nicht. Ich wollte genaue inszenatorische Anweisungen und kein Suchen nach meinen inneren Vorgängen.
    Am Tag meiner Schauspielprüfung in Brünn begleitete mich meine Mutter. Sie war übertrieben aufgeregt, als müsste sie die Prüfung machen, nicht ich. Das passte mir alles nicht. Ihre Anwesenheit war mir peinlich.
    Mir kommt es so vor, als würde sie all das mit Absicht machen. Wenn ich sie
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