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Pablito

Pablito

Titel: Pablito
Autoren: Käthe Recheis
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Jacinta.
Ich habe genug eigene Kinder, die ich füttern muß. Wenn du Juan, den
Gummisammler, und Jacinta, seine Frau, suchst, die sind weggezogen, vor Jahren,
und niemand in Tupica wird dir sagen können, wo sie sind.«
    Die Frau warf die Tür zu.
    Uyuni und Quito sahen Pablo an.
    »Tante Jacinta und Onkel Juan
sind fortgegangen«, sagte Pablo zu ihnen.
    Aus dem Haus hörte man das
Schelten der Frau.
    »Ich bin froh, daß es nicht
Tante Jacinta ist«, rief Pablo.
    Aber er wußte nicht, was er tun
sollte. Sie waren so lange gewandert, sie hatten die Krokodile nicht gefürchtet
und den gefährlichen Sumpf. Und alles war umsonst gewesen! Sie standen müde und
hungrig auf der Straße von Tupica, und niemand gab es hier, der sie erwartete.
Pablo setzte sich mitten auf der Straße nieder, barg sein Gesicht in den Händen
und weinte.

    Die Fenster der Häuser wurden
schwarz. Nur eines blieb hell und schickte sein Licht in die Dunkelheit. Das
Haus, in dem noch jemand wachte, war größer als die anderen. Es war die neue
Schule. Dort wohnte jene Frau, die ihre Heimat verlassen hatte, um die Kinder
der Indianer in Tupica lesen und schreiben und noch vieles andere zu lehren.
    Sie war noch jung. Ihr Haar war
blond, und ihre Augen waren blau. In ihrer Heimat war jetzt Winter, und der
Schnee lag dicht, kalt und weiß auf den Wiesen und hüllte die Tannen im Wald
ein. In Tupica fiel niemals Schnee. All das vermißte die junge Frau sehr. Sie
sehnte sich nach ihren Eltern und nach ihren Geschwistern, die sie jenseits des
Meeres hatte zurücklassen müssen.
    Aber dies war nicht der Grund,
warum sie vor ihrem Tisch saß und warum ihr Gesicht naß von Tränen war.
    Christina, die Lehrerin, war
aus ihrer Heimat fortgezogen, weil es in dem Land, in dem sie nun lebte, viele
Kinder gab, die keine Schule besuchen konnten. Viele Jahre hatte sich Christina
auf diese Aufgabe vorbereitet. Sie hatte die Sprache der Indianerkinder
gelernt. Sie war sehr glücklich gewesen, als der Bischof von Puna sie endlich
nach Südamerika gerufen hatte.
    Aber sie mußte erkennen, daß
die Aufgabe, nach der sie sich gesehnt hatte, zu schwer für sie war. Sie hatte
versagt. Die Kinder der Indianer liebten sie nicht. Nur wenige kamen zur
Schule. Und jene, die kamen, kümmerten sich nicht darum, was Christina sie
lehrte. Die Frauen und Männer sahen sie voll Mißtrauen an, wenn sie zu ihnen
trat, um mit ihnen zu reden. Christina war überzeugt, daß es niemand im Dorf
Tupica gab, der sie brauchte. Sie hatte umsonst ihre Heimat verlassen, sie
konnte den Indianern nicht helfen. Es war gewiß am besten, dem Bischof zu
schreiben: »Ich bin für diese Aufgabe ungeeignet. Ich will nach Europa
zurückkehren.«
    Diesen Brief hatte Christina
heute abend geschrieben. Er lag vor ihr auf dem Tisch, er wartete nur darauf,
in einen Umschlag gesteckt und abgeschickt zu werden. Sicher wird der Bischof
sehr niedergeschlagen sein, sagte sich Christina. Die Schule in Tupica muß
wieder geschlossen werden.
    »Ich möchte mit dem nächsten
Schiff fahren«, schrieb Christina noch unter ihren Brief, »denn es ist sinnlos,
wenn ich hier bleibe.«
    Christina verschränkte die Arme
und blickte in das schwache Licht der Öllampe. Die Tränen liefen nicht mehr
über ihre Wangen, ihre Augen waren trocken geworden. Sie schloß die Lippen
fest.
    Da war es, also ob sie jemand
weinen hörte. Christina hob den Kopf. Ich habe geträumt, dachte sie. Es ist
mitten in der Nacht, wer würde vor meinem Haus stehen und weinen?
    Wieder fiel Christina in ihre
trüben Gedanken. Aber wieder trug die Stille der späten Stunde das leise Schluchzen
in ihr Zimmer. Diesmal hatte sie es ganz deutlich gehört. Christina stand auf,
nahm die Lampe vom Tisch, öffnete die Tür und trat hinaus. Im Staub der Straße
saß ein kleine Indianerjunge. Seine Kleider waren schmutzig und zerrissen,
seine bloßen Füße in den Sandalen staubig. Sein schwarzes Haar war lange nicht
gekämmt worden. Das Gesicht in den Händen verborgen, weinte er. Ein kleiner
gelber, schmutziger Hund stand neben ihm und eine magere schwarze Ziege.
    Christina ging näher. »Warum
weinst du?« fragte sie. »Wer bist du?«
    Der kleine Junge hob sein
tränennasses Gesicht. Er sah sie an und sagte kein Wort.
    Christina biß sich auf die
Lippen. Es war wie immer! Alle Indianerkinder starrten sie an, wenn sie mit
ihnen sprach, und keines gab eine Antwort.
    Aber wie hätte Pablo sofort
sprechen können? Im Schein der Lampe leuchtete das blonde Haar der
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