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Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut

Titel: Ostseeblut - Almstädt, E: Ostseeblut
Autoren: Eva Almstädt
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arbeiteten in derselben Praxis. Eine Schnelldiagnose von ihm würde Katja schlecht aufnehmen.
    »Noch vier Minuten«, sagte der Starthelfer.
    Timo nahm Katjas Ellenbogen, doch sie schüttelte seine Hand ab und humpelte zum Startpunkt. »So kannst du doch nicht an einem Orientierungslauf teilnehmen, Katja«, rief er mahnend.
    »Ist es mein Fuß oder deiner?«, fragte sie.
    »Dann lauf doch! Viel Spaß!« Verdammter Ehrgeiz! Wollte sie die Strecke auf einem Bein zurücklegen?
    »Noch drei Minuten.«
    Katja nickte und versuchte aufzutreten, doch sie strauchelte und biss sich dabei auf die Lippe. »Okay, alles klar. Ich laufe nicht«, sagte sie. »Aber du hast doch Zeit, Timo. Starte du für mich!« Der eindringliche Blick ihrer grünen Augen war unwiderstehlich.
    »Kann ich mit der Startnummer und Karte meiner Frau laufen?«, fragte Timo den Starthelfer, der Katjas Laufkarte für sie bereithielt.
    »Meinetwegen, ist ja nur ein Trainingslauf. Aber beeilt euch.«
    Timo streifte sich Katjas Startnummer über und nahm die Karte entgegen, auf der die Posten im Gelände markiert waren. Er zückte seinen Kompass. Also los, er würde es Gunnar schon zeigen!
    Die Laufstrecke führte ihn vom Fliegerweg zunächst in Richtung Norden. Er überquerte die Mecklenburger Landstraße, die sich in Ost-West-Richtung über die ganze Halbinsel zog. Früher hatte diese Straße quasi im Nirgendwo geendet, an der Zonengrenze zur ehemaligen DDR . Noch etwa fünfhundert Meter, dann müsste er zum ersten Posten von Bahn B gelangen, gelegen an einem Wurzelstock. Als er den Wimpel im Unterholz aufblitzen sah, lief er das letzte Stück querfeldein, markierte seine Laufkarte mit der Lochzange und orientierte sich dann in Richtung Ostsee.
    Er atmete gleichmäßig. Seine Bronchien kamen mit der feuchten Seeluft gut zurecht. Am Sportboothafen konnte er im Dunst den roten Backsteinturm des Travemünder Leuchtturms erkennen. Der Nebel schien sich zu lichten. Mühelos fand er den zweiten Posten. Beim Aufrichten sah er eine schneeweiße Ostseefähre, die gerade aus der Trave-Mündung in Richtung Skandinavien steuerte. Auf dem asphaltierten Weg am Hafenbecken entlang legte er an Tempo zu. Nachdem er den dritten Posten gefunden hatte, führte ihn der Weg ins Dünengebiet. Das Laufen im Sand war anstrengend, aber er lag gut in der Zeit. Noch ein Posten, und weiter ging es in Richtung Süden, durch eine wie verlassen daliegende Ferienhaussiedlung und dann auf die andere Seite der Halbinsel.
    Timo durchquerte ein Waldstück. Vor ihm lag eine steppenartige Graslandschaft mit vereinzelten Inseln aus höherem Bewuchs, die sich bis zum Wasser hinzog. Er kontrollierte Karte und Kompass und suchte eine Landmarke, die ihm die Richtung weisen konnte. Für andere Aspekte seiner Umgebung hatte er keinen Blick übrig, einzig der nächste Posten war wichtig. Dicht am Waldrand befand sich eine Art Kuppe, die mit hohen Büschen bewachsen war. Weiter hinten entdeckte er den orange-weißen Wimpel … Er lief mit langen Schritten, fühlte sich geradezu euphorisch. Das Runner’s High? Nicht so früh! Doch das Hochgefühl verging so schnell, wie es gekommen war. Mit einem Mal spürte er, dass er beobachtet wurde, und erinnerte sich an das, was die Kinder erzählt hatten. Nicht ablenken lassen! Wenn man an einem Posten falsch lochte, war man für gewöhnlich aus der Wertung raus. Er erreichte den Posten und konzentrierte sich auf Lochzange und Karte. Den Gewehrlauf, der aus der Öffnung eines Holzschuppens im Wald auf ihn gerichtet war, sah er nicht.
    Der erste Schuss trat in Timos Hinterkopf ein, und das Projektil zerstörte binnen Sekundenbruchteilen sein Gehirn. Er hörte nicht einmal mehr das Schussgeräusch. Die Kugel zerfetzte beim Austritt seinen Augapfel und das umgebende Gewebe. Der zweite Schuss traf ihn an der Schulter und riss ihn zur Seite. Sein vom Laufen erhitzter Körper fiel neben der Kontrollzange zu Boden. Das dritte Projektil schoss über Timos Körper hinweg und blieb in einem abgestorbenen Baumstumpf stecken. Timos eben noch energiegeladener Körper lag reglos im nassen Gras. Die zerstörte Seite des Gesichts mit der leeren Augenhöhle war dem grauen Himmel zugewandt. Die Mischung aus Blut, Gehirnmasse und versengter Haut würde, wenn der Mensch nicht eingriff, bald Möwen, Füchse und kleinere Lebewesen anlocken, ihren Dienst als Aufräumpolizei der Natur zu versehen.

2. Kapitel
    W as ist denn heute bloß los da drüben?«, fragte die Frau mit der gelben
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