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Ostsee-Storys

Ostsee-Storys

Titel: Ostsee-Storys
Autoren: Michael Augustin
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versuche, meinem Opa zu helfen, der es sich gefallen lassen muss, dass die anderen jede seiner Handbewegungen nicht ohne Spott kommentieren. Das spüre ich ganz deutlich und erinnere mich daran, wie einige dieser Sportskameraden auch bei anderen Gelegenheiten immer mal wieder ihre Scherze gemacht haben über meinen Opa und seine angeblich vorsintflutliche Angelausrüstung. Ihm scheint das ja nicht viel auszumachen, aber mir gefällt das überhaupt nicht. Als mein Opa den Lachs schließlich in einen nassen Lappen einwickelt und ihn, weil er für den an einer Schnur im Travewasser hängenden Frischhaltedrahtkorb viel zu groß ist, in seinen Rucksack stopft, ziehen die anderen nach und nach wieder ab und kümmern sich um ihre eigenen Angeln. Die dümmsten Bauern haben die größten Kartoffeln!, sagt einer noch. Und zwar so, dass es auch ja alle hören, was mir einen regelrechten Stich ins Herz versetzt. Hast du das gehört, Opi? So ein gemeiner Kerl. Der hat dich gemeint! Doch mein Opa guckt mich bloß an. Bin ich etwa dumm?, fragt er mich. Nein!, rufe ich. Und was bin ich denn von Beruf? Bauer vielleicht? – Nee!, quieke ich, du bist doch Schneider! – Siehst du. Und ist mir vielleicht eine Kartoffel an den Haken gegangen? – Quatsch, lache ich, ein Lachs, ein riesiger Lachs! Und jetzt lacht mein Opa auch. – Schade, dass es heute nur noch ganz wenige Leute gibt, die sich daran erinnern können, wie das klang, wenn er so draufloslachte. Jedenfalls warfen ihm einige der Anglerkameraden wütende Blicke zu, weil er ihnen damit die Fische verscheuchte. Doch mein Opa tätschelte abwechselnd seinen Rucksack und meinen Kopf und hatte gut lachen.



Salz
    Laut Ernst Moritz Arndt geht der Salzgehalt der Ostsee ja auf die Habgier eines verbrecherischen Schiffshauptmannes zurück, der mit einer unrechtmäßig erworbenen verzauberten Kaffeemühle ganz und gar nicht zurechtkam und – ähnlich wie Goethes Zauberlehrling, der bekanntlich Probleme mit einem Besen hatte – keine Formel wusste, das unablässig Salz produzierende Haushaltsgerät zum Stillstand zu bringen, so dass es auf dem Grunde des Baltischen Meeres bis ins unsere Tage hinein weiterhin immer mehr dieser in Wasser löslichen Kristalle hervorbringt. Der Salzgehalt der Ostsee ist, je nach Lage betrachtet, höchst uneinheitlich. Im Westen höher als im Osten oder gar oben im nördlichen Bottnischen Meerbusen, wo er vielleicht nur 0,3 oder 0,4 Prozent beträgt.
    Auch ich habe einmal zur relativen Erhöhung des Salzgehalts beigetragen und kann sogar auf den Tag, ja fast auf die Stunde genau sagen, wann und wo solches geschah: Als Deutschland nämlich am 30. Juli 1966, betrogen durch einen perfiden russischen Linienrichter, im Londoner Wembley-Stadion nicht Fußballweltmeister geworden war und ich den geknickten, ja gebrochenen schwarz-weißen Uwe Seeler über den Bildschirm schleichen sah, hielt ich es einfach nicht mehr aus unter den Erwachsenen, die sogar schon damit begonnen hatten, erste ironische Kommentare abzugeben, wohl um ihre eigene Enttäuschung zu kaschieren. Ich verließ also das Haus und rannte runter an den fast menschenleeren Strand. Damit auch wirklich keiner mein Elend sehen konnte, ging ich ein paar Meter hinein in die völlig ruhig daliegende Ostsee und weinte, bis zu den Knien im Wasser stehend, bitterlich, dass die Tränen nur so aus mir herausschossen und sich damit die Salinität der Ostsee unplanmäßig erhöhte.

Wasserleiche
    Gesehen habe ich die Wasserleiche nicht, aber gruselig war es trotzdem und ganz schön ekelhaft. Als nämlich die Froschmänner die Fahrrinne zwischen Priwall und dem kleinen Fähranleger zum wer weiß wie vielten Male vergeblich abgesucht hatten, hievten die Leute auf dem Polizeiboot ein Metallteil über Bord, das ich zunächst für einen Anker hielt. Das ist doch kein Anker!, sagte mein Vater, das ist so eine Art Angelhaken, ein Pilker, den das Polizeiboot bei langsamer Fahrt hinter sich herschleppt. – Wieso das denn?, fragte ich nichts ahnend, aber bevor mein Vater antwortete, fiel bei mir der Groschen. Gut, dass die Wasserleiche schon tot ist, wenn sie auf den Haken geht!, sagte ich. Falls die Strömung sie nicht schon viel zu weit rausgzogen hat, meinte mein Vater, denn dann bleibt nur abwarten und Tee trinken, bis sie von selbst wieder hochkommt und irgendwo angeschwemmt wird. Am Abend, beim Einschlafen, machte ich mir so meine Gedanken und fragte mich, was die Eltern von dem ertrunkenen Jugendlichen wohl sagen
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