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Ostsee-Storys

Ostsee-Storys

Titel: Ostsee-Storys
Autoren: Michael Augustin
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von Markus
    Egal wie hoch die Temperaturen auch sein mochten: am sommerlichen Strand von Travemünde herrschte selbst im Juli Kalter Krieg, damals Anfang der sechziger Jahre. Das, was im allgemeinen Sprachgebrauch als drüben oder Pankow bezeichnet wurde, hatte hier schließlich ein jeder direktemang vor den sonnenbebrillten Augen.
    Einmal spielte ich, etwas abseits der von meinem Vater gewohnheitsmäßig aufgeschaufelten Sandburg, die wir von morgens bis abends als Strandkorbdauermieter bewohnten, mit einem etwas jüngeren Jungen, der mir erzählte, dass er aus Köln komme und hier mit seiner Familie Urlaub mache. Ich komme aus Lübeck, sagte ich. Und mein Vater ist Polizist. Worauf Markus, so hieß der Junge, mir den Beruf seines Vaters nannte, was mich augenblicklich erstarren ließ und mich angesichts des nahen Eisernen Vorhangs in einen Zustand allerhöchster Alarmbereitschaft versetzte.
    Unter einem fadenscheinigen Vorwand wetzte ich kurz zu unserem Strandkorb rüber und zupfte meinen Vater an der Badehose. Weißt du was?
    Der Junge da, ich zeigte auf Markus , der hat einen Vater, und der ist von Beruf Kommunist! – Kein Mensch hier bei uns ist von Beruf Kommunist, sagte mein Vater, und selbst der Spitzbart da drüben in der Zone hat, glaub ich, mal was Richtiges gelernt. Da wirst du wohl was falsch verstanden haben . – Hatte ich tatsächlich. Aber selbst wenn ich’s richtig verstanden hätte: die berufliche Tätigkeit von Markus’ Vater wäre mir damals mindestens genauso schleierhaft gewesen wie das, was ein Kommunist den ganzen Tag lang macht. Schade, dass ich ihn nicht selbst gefragt habe, denn schließlich hockte auch er nur ein paar Meter weiter in seinem Strandkorb: der Komponist Karlheinz Stockhausen.

Nackedunien
    Das wohl absurdeste Stück deutsch-deutscher Grenze war am Priwall zu besichtigen, am hinteren Ende der relativ schmalen, eigentlich mecklenburgischen aber seit einigen Hundert Jahren zum Lübecker Stadtgebiet zählenden, Travemünde gegenüberliegenden Landzunge. Dort nämlich verlief die Grenz- und Sperranlage der Deutschen Demokratischen Republik, aus den Dünen kommend, quer über den feinen Sandstrand hinein ins kühle Nass der Ostsee, wo die Linie dann durch einige dümpelnde Bojen bis ins tiefere Wasser fortgesetzt wurde.
    Auf östlicher Seite, am Rande der Dünen, ragte der Wachtturm empor, Tag und Nacht besetzt mit dem Personal der DDR-Grenztruppen, deren wachsamen Augen just hier an dieser Stelle der Kapitalismus gänzlich ungeschützt ausgeliefert war: denn, von westlicher Seite betrachtet, endete hier am Stacheldrahtverhau der Nacktbadestrand. Was den mit Zeiss-Optik-Feldstechern ausgerüsteten Ostgrenzlern mit Sicherheit den ansonsten so öden und verhassten Wachtdienst versüßt haben dürfte – trotz uniformer Kleiderordnung auch bei heftigster Sonnenbestrahlung. An dem Tag, als ich hier durch ein mannshohes in den Stacheldraht geschnittenes Loch erstmals in meinem Leben über den Nacktbadestrand hinaus am Spülsaum in Richtung Osten weitergehen durfte, herrschte allerdings, bei messerscharfem Wind und peitschendem Regen, bitterste Kälte. Doch als ich nach einigen Hundert Metern stehen blieb, um nun meinerseits vom Fuße der Dünen aus hinüberzublicken nach Westen, auf den verwaisten Nacktbadestrand des Priwalls und die Häuser von Travemünde drüben auf der westlichen Seite der Trave, da wurde auch mir ganz heiß ums Herz.



Lachs
    Mein Opa hat gestern gesagt, ich soll um zehn Uhr auf die Mole kommen. Zum Angeln. Morgen beißen die bestimmt! Aber das sagt er immer, auch wenn die gar nicht beißen, sondern höchstens er sich auf die Unterlippe. Von Weitem schon sehe ich an der Stelle, wo er gewöhnlich am liebsten seine Angeln auswirft, eine Menschentraube und fange an zu laufen.
    Mittendrin erkenne ich meinen Opa an seiner weißen Schiebermütze. Die anderen Leute scheinen alle Angler zu sein, die ihre Ruten sich selber überlassen haben und jetzt meinem Opa zugucken, der gerade, etwas ungeschickt, damit zugange ist, einen riesigen Fisch vom Haken zu nehmen, ein wirklich gewaltiges Ungeheuer, ein silbern funkelndes Wesen, wie ich es in meinem Leben noch nicht gesehen habe, das er offenbar schon mit dem Hammer betäubt hat, so dass nur noch ein Zucken durch das Schwanzende geht. Ein Lachs!, ruft einer der Angler, der gerade mit mir gemeinsam zu der Gruppe gestoßen ist. Nicht zu fassen! An der Travemünder Mole! Ich bin an den Erwachsenen vorbeigeschlüpft und
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