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Oryx und Crake

Oryx und Crake

Titel: Oryx und Crake
Autoren: Margaret Atwood
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ihm mit schwungvoller Geste den schwarzen Umhang ab und hob Jimmy vom Stuhl.

    Während des Feuers hatte Jimmy Angst um die Tiere, weil sie verbrannt wurden, und das tat ihnen sicher weh. Nein, sagte sein Vater, die Tiere seien tot. So tot wie Steaks und Würste, nur dass sie noch das Fell anhatten.
    Und die Köpfe, dachte Jimmy. Steaks hatten keine Köpfe. Die Köpfe änderten die Sache: Er meinte zu sehen, wie ihn die Tiere aus ihren brennenden Augen vorwurfsvoll ansahen. Irgendwie war das alles – das riesige Feuer, der verkohlte Gestank, vor allem aber die lodernden, leidenden Tiere – seine Schuld, weil er nichts getan hatte, um sie zu retten. Gleichzeitig war das Feuer ein prächtiger Anblick – leuchtend wie ein Christbaum, allerdings ein brennender Christbaum. Er hoffte auf eine Explosion am Ende, wie im Fernsehen.
    Sein Vater stand neben ihm und hielt ihn an der Hand. »Heb mich hoch«, sagte Jimmy. Sein Vater nahm an, dass er getröstet werden wollte, was stimmte, nahm ihn in die Arme und hielt ihn fest. Aber Jimmy wollte auch besser sehen.

    »Darauf läuft es hinaus«, sagte Jimmys Vater, nicht zu Jimmy, sondern zu einem Mann, der neben ihm stand. »Wenn es erst mal angefangen hat.« Jimmys Vater klang zornig; die Antwort des Mannes ebenfalls.
    »Sie sagen, es war Absicht.«
    »Würde mich nicht wundern«, sagte Jimmys Vater.
    »Kann ich ein Kuhhorn haben?«, fragte Jimmy. Er sah nicht ein, warum es verschwendet werden sollte. Er wollte eigentlich um zwei Hörner bitten, aber das wäre vielleicht zu viel verlangt.
    »Nein«, sagte sein Vater. »Diesmal nicht, alter Kumpel.« Er tätschelte Jimmys Bein.
    »Um die Preise in die Höhe zu treiben«, sagte der Mann. »Um mit ihrem eigenen Zeug mörderische Gewinne zu machen.«
    »Mörderisch ist es allerdings«, sagte Jimmys Vater in angewidertem Ton. »Aber es könnte auch ein Wahnsinniger gewesen sein. Irgendein Kult-Ding, was weiß man denn.«
    »Warum nicht?«, sagte Jimmy. Die Hörner wollte sonst niemand.
    Aber diesmal beachtete sein Vater ihn nicht.
    »Die Frage ist, wie haben sie das hingekriegt?«, sagte er. »Ich dachte, unsere Leute hätten uns hermetisch abgeriegelt.«
    »Das dachte ich auch. Wir blechen schließlich genug. Was tun die Typen die ganze Zeit? Sie werden ja nicht fürs Schlafen bezahlt.«
    »Könnte Bestechung gewesen sein«, sagte Jimmys Vater. »Sie werden die Banküberweisungen nachprüfen, obwohl man schon ziemlich bescheuert sein müsste, um solches Geld auf der Bank zu deponieren.
    Jedenfalls werden Köpfe rollen.«
    »Eine gründliche Untersuchung, und ich möchte nicht in ihrer Haut stecken«, sagte der Mann. »Wer kommt denn von draußen rein?«
    »Leute, die was reparieren. Lieferwagen.«
    »Man müsste das alles intern erledigen.«
    »So ist es geplant, höre ich«, sagte sein Vater. »Der Erreger scheint aber was Neues zu sein. Wir haben den Bioprint.«
    »Da können auch zwei mitspielen«, sagte der Mann.
    »Da können jede Menge mitspielen«, sagte Jimmys Vater.

    »Warum haben die Kühe und die Schafe gebrannt?«, fragte Jimmy seinen Vater am nächsten Tag. Sie saßen beim Frühstück, alle drei zusammen, es muss also ein Sonntag gewesen sein. Das war der Tag, an dem Mutter und Vater beide beim Frühstück da waren.
    Jimmys Vater war bei seiner zweiten Tasse Kaffee. Während er trank, machte er sich Notizen auf einem Blatt voller Zahlen. »Sie mussten verbrannt werden«, sagte er, »damit es sich nicht ausbreitet.« Er blickte nicht auf; er war mit seinem Taschenrechner beschäftigt, kritzelte etwas mit dem Bleistift.
    »Was ausbreitet?«
    »Der Erreger.«
    »Was ist ein Erreger?«
    »Ein Erreger macht dir einen Husten«, sagte seine Mutter.
    »Werde ich auch verbrannt, wenn ich Husten habe?«
    »Höchstwahrscheinlich«, sagte sein Vater und drehte das Blatt um.
    Jimmy bekam Angst, denn er hatte in der letzten Woche gehustet. Die Husterei konnte jeden Moment wieder anfangen: Es steckte ihm bereits etwas in der Kehle. Er sah seine Haare brennen, nicht eine oder zwei Strähnen in einer Untertasse, sondern sämtliche Haare, die an seinem Kopf. Er wollte nicht mit den Kühen und Schweinen auf einen Haufen geworfen werden. Er fing an zu weinen.
    »Wie oft muss ich dir das noch sagen?«, sagte seine Mutter. »Er ist noch zu klein.«
    »Daddy ist schon wieder ein Monster«, sagte Jimmys Vater. »Das war ein Witz, Kumpel. Du weißt schon – Witz. Haha.«
    »Er versteht diese Art Witze nicht.«
    »Natürlich versteht er sie.
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