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Ordnung ist nur das halbe Leben

Ordnung ist nur das halbe Leben

Titel: Ordnung ist nur das halbe Leben
Autoren: Emma Flint
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doch gar nicht!«, rief mein Chef erstaunt, als er gewahr wurde, wogegen hier protestiert wurde.
    »Das ist ja ein Zufall«, kommentierte Bogert trocken.
    In zwei Minuten würden sie uns erreicht haben. Mir brach der Schweiß aus. Wenn herauskäme, dass meine Eltern hier und jetzt gegen den Flughafenausbau protestierten, wo ausgerechnet heute Nachmittag der Hauptinvestor Gunther Bogert anwesend war, weil er bei uns einen Termin hatte, würde ich natürlich sofort unter Verdacht geraten, ihnen einen Tipp gegeben zu haben.
    »Ja, was für ein Zufall«, sagte ich schrill.
    »Was für Spinner!« Mein Chef verzog angewidert das Gesicht.
    »Genau! Können diese Spinner nicht woanders ihre kleine Parade abhalten?«, rief ich.
    Eine Frau im langen Wollrock mit fettigen Haaren, die mit ihren beiden kleinen Kindern mit bunten Strickmützen neben uns stand, warf mir einen mürrischen Blick zu. Als sich unsere Blicke trafen, schaute sie nicht sofort weg. Das irritierte mich. Kannte ich sie? War sie vielleicht eine ehemalige Schulkameradin? Ach, es war so blöd, wenn man entfernt bekannte Leute irgendwo anders traf als normalerweise. Da musste man immer überlegen, wer das jetzt war. Wie letztens, als ich meine Nachbarin im Supermarkt nicht auf Anhieb erkannt und deswegen nicht gegrüßt hatte und sie mich seitdem ignorierte wie eine Aussätzige.
    Damit ich nicht wieder in einen Fettnapf trat, nickte ich der Frau knapp zu und wandte mich dann wieder an meinen Chef und Gunther Bogert. »Kommen Sie«, sagte ich. »Lassen Sie uns ins Büro gehen – das brauchen Sie sich doch nicht anzutun.«
    »Nee«, knurrte Bogert. »Das guck ich mir an. Ist immer gut, seine Feinde zu kennen.«
    Ich schluckte. Was sollte ich bloß tun? Meine Eltern würden mir garantiert zuwinken oder, noch schlimmer, mich vielleicht sogar mit meinem Taufnamen rufen, weil sie äußerst lernresistent waren, was das anging. Ich hatte ihnen zwar schon hundertmal gesagt, dass sie mich Moni nennen sollten, aber der Name, der in meinem Pass stand und der sie an einen Augenblick der höchsten Verzückung erinnerte, rutschte ihnen immer wieder raus. Und zwar in den unmöglichsten Situationen.
    Wie zum Beispiel damals, 1993, sechste Klasse. Vor Beginn der weiterführenden Schule hatte ich – aus Schaden wird man klug – in einem langen Brief die Schulleiterin des Gymnasiums angefleht, dass kein Lehrer jemals meinen Taufnamen erwähnen sollte, da ich in der Grundschule genug darunter gelitten hätte. Das Lehrerkollegium schien ein Einsehen zu haben und hielt sich daran. Ich war Moni – und ich war glücklich damit.
    Dann kam das Schulfest. Ich hoffte, ich könnte den Besuch meiner Eltern vermeiden, weil sie sich gerade in einer äußerst merkwürdigen Phase befanden, die mit ihren bevorstehenden vierzigsten Geburtstagen zu tun zu haben schienen. Jedenfalls hatten sich beide zu einer äußerst hirnverbrannten Aktion hinreißen lassen und sich Tätowierungen zugelegt: eine Rose (Schulter, meine Mutter) und einen springenden Tiger (Brust, mein Vater), die sie in diesem Sommer gerne mit entsprechend knapper Bekleidung vorgezeigt hatten. Ich schämte mich sehr für dieses ungebührliche Verhalten und fragte mich, warum es keine gesetzlich vorgeschriebene Frist für Eltern gab, bis wann sie erwachsen geworden sein mussten.
    Als sie beim Schulfest auftauchten, hatte ich gerade mit einigen anderen den Stand zum Thema » NRW zur Zeit der Römer« aufgebaut. Zunächst war ich von ihrem Erscheinungsbild positiv überrascht. Denn zum Glück präsentierten sie nicht ihren frisch erworbenen Körperschmuck, sondern den Grunge-Look, der auch Gartenarbeits-Look genannt werden könnte. In ihren Jeans und den bunten Holzfällerhemden sahen sie jedenfalls zu meiner großen Erleichterung weder übergeschnappt noch exzentrisch aus, sondern dankenswerterweise einfach nur ein wenig ungepflegt. Ich wollte mich gerade freuen, ihnen unser Projekt erklären zu dürfen, da riefen sie: »Puna Monday, da habt ihr euch aber Mühe gegeben!«
    Ich werde das belustigte Funkeln in den Augen meiner Klassenkameraden niemals vergessen. Die normale Moni war verschwunden, jetzt war ich nur noch die verrückte Puna Monday, das gefundene Fressen für alle Aasgeier. Heulend rannte ich raus und setzte nie wieder einen Fuß in diese Schule.
    Und so ähnlich würde es mir heute ergehen, wenn rauskäme, dass ich einen Hippienamen trug und mit diesen Umweltschützern unter einer Decke steckte. Das wäre nicht gut.
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