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Orchideenstaub

Orchideenstaub

Titel: Orchideenstaub
Autoren: Tanja Pleva
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mehr atmen zu können“, hörte Sam sich sagen und bekam wieder diesen beklemmenden Druck in der Brust, als würde jemand in seiner Lunge sitzen und darin herumhüpfen.
    „Sie hatten einen Nervenzusammenbruch und dann haben Sie sich eine Auszeit von drei Monaten genommen.“
    „Vier Monate“, berichtigte er Dr. Jäger.
    „Was haben Sie in der Zeit gemacht?“
    „Erst habe ich versucht zu trinken. Diese Art von Therapie habe ich allerdings schnell wieder aufgegeben.“
    „Warum?“
    „Die körperlichen Nachwehen, Kopfschmerzen, Übelkeit … Das ist nichts für mich. Außerdem habe ich noch nie ein Problem mit Alkohol gelöst oder darin ertränkt.“
    „Was wollten Sie denn lösen?“
    Zwischen Sams Augen zeigten sich zwei senkrechte tiefe Falten und er strich sich mit beiden Händen über den Kopf, als könnte er damit den Schatten wegschieben, der sich über seine Gedanken gelegt hatte.
    „Gab es noch etwas zu lösen?“, insistierte der Therapeut.
    „Nein, eigentlich nicht. Nur … hätte ich mich nicht so verhalten, wie ich es getan habe, wäre das alles vielleicht gar nicht passiert. Ich hätte sie nicht so einfach gehen lassen sollen, aber da war dieser Fall …“ Er machte eine Pause. Schon oft hatte er sich gefragt, ob er den Fall nur wegen seiner Bindungsängste vorgeschoben hatte. „Ich habe mich in die Arbeit gestürzt und wollte danach wieder auf sie zugehen, aber da … war es schon zu spät“, sagte er mit brüchiger Stimme.
    „Dazu gehören immer zwei, Sam. Sie haben keine Schuld an ihrem Tod. Sie saßen nicht volltrunken im Auto und haben den Wagen gegen einen Baum gefahren“, erklärte Dr. Jäger geduldig.
    „Ich fühle mich aber schuldig. Wissen Sie, ich habe sie betrogen. Aus einer Laune heraus. Lina hat es gesehen, wenn sie es nicht schon vorher gewusst hatte …“
    Der Therapeut sah Sam skeptisch an. „Was meinen Sie damit, wenn sie es nicht schon vorher gewusst hatte ?“
    „Nun …“ Sam focht einen inneren Kampf aus. Sollte er seinem Therapeuten wirklich von Linas medialen Fähigkeiten erzählen? Er selbst hatte sie nie bei ihrer Arbeit gesehen. Doch bei Linas Beerdigung hatte er neben ihrer Mutter gestanden. Sie hatte einen Satz gesagt, der ihm bis heute nicht aus dem Kopf gegangen war. Sie hat gewusst, dass sie sterben würde, zumindest wo es geschehen wird, waren die Worte ihrer Mutter gewesen.
    Der fragende Blick des Therapeuten ruhte immer noch auf ihm.
    „Lina war ein Medium.“ Sam ließ den Satz einen Moment wirken. „Sie hat ihren eigenen Tod vorhergesehen. Angeblich“, fügte er schnell hinzu.
    Dr.Jäger räusperte sich und sah auf die Uhr. „Ja, manche träumen solche schrecklichen Dinge. Sie steigern sich so in etwas hinein, dass es letztendlich dann auch passiert.“
    „So war Lina nicht.“ Sam sah in den Augen seines Gegenübers, dass es sinnlos war, Näheres zu erklären.
    „Fangen Sie wieder an zu arbeiten. Das ist die beste Medizin.“ Der Therapeut sah auf seine Notizen. „Sie sagten, Sie haben das Trinken schnell wieder gelassen. Was haben Sie dann in den vier Monaten gemacht?“
    „Ich habe auf dem Sofa gesessen oder im Bett gelegen, Löcher in die Wände gestarrt und versucht, an nichts zu denken.“ Genau in diesen Momenten hatte er oft das Gefühl gehabt, dass Lina ganz nah bei ihm war, doch das erwähnte er jetzt nicht. Sam schloss die Augen. Er hatte Linas Gesicht immer noch klar und deutlich vor sich. Leider gab es zwei Linas die er dabei sah. Die Lina, die verliebt lächelte und die, die ihn mit toten, trüben Augen vorwurfsvoll ansah. Natürlich war das reine Spinnerei. Kein Toter konnte einen vorwurfsvollen Blick haben.
    Sams Handy vibrierte zum dritten Mal in seiner Hosentasche. „Alarmstufe Drei“, sagte er zu dem Therapeuten und entschuldigte sich leise für die Unterbrechung.
    „Sam O’Connor?!“, dröhnte es ihm ins Ohr.
    „Am Apparat.“ Sam stand auf und ging zum Fenster, während er der Stimme am anderen Ende der Leitung lauschte, ohne inhaltlich den Sinn zu verstehen.
    Die Aussicht war trostlos. Verschmutzte Häuserwände mit schmalen Fenstern, ein grauer, ziemlich unansehnlicher Hinterhof, der auch tagsüber wohl meist im Halbdunkel lag.
    „Wo stecken Sie zur Zeit, Sam?“ Erst jetzt war ihm richtig bewusst geworden, wer da mit ihm sprach.
    „In der Münchner Innenstadt.“ Schnell setzte er noch hinzu: „Aber ich weiß nicht, ob ich schon bereit bin wieder … wieder zu arbeiten.“ Er hatte kaum die Worte
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