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Orchideenhaus

Orchideenhaus

Titel: Orchideenhaus
Autoren: L Riley
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hatte im Lauf seines mehr als dreihundert-jährigen Bestehens eine sanftgelbe Farbe angenommen.
    Die sieben Erker und die Doppeltreppe, die zu einer Terrasse mit Blick auf den Park führte, verliehen dem Ensemble französischen Glanz. An jeder Ecke stand ein Kuppelturm, und der riesige Portikus wurde von vier hohen ionischen Säulen getragen. Eine bröckelnde Statue der Britannia, die fröhlich auf der Spitze hockte, gab dem Ganzen ein majestätisches, wenn auch ziemlich exzentrisches Aussehen.
    Wharton Park war weder groß noch stilistisch rein genug, als dass man es als herrschaftliches Anwesen hätte bezeichnen können; die von späteren Crawford-Generationen in Auftrag gegebenen seltsamen Anbauten störten den Gesamteindruck. Doch aus genau diesem Grund besaß es nicht die abschreckende Kargheit, die anderen großen Gebäuden dieser Epoche anhaftete.
    »Da drüben sind wir immer links gegangen«, bemerkte Julia, die sich an den Weg um den See herum zum Cottage ihrer Großeltern am Rand des Anwesens erinnerte.
    »Möchtest du nach der Haushaltsauflösung noch einen Blick auf das alte Cottage werfen?«, fragte Alicia.
    Julia zuckte mit den Achseln. »Schauen wir mal.«
    Gelb gekleidete Parkwächter wiesen den Autos Plätze zu.
    »Es scheint sich herumgesprochen zu haben«, sagte Alicia,
als sie den Wagen abstellte. Dann wandte sie sich ihrer Schwester zu und legte ihr eine Hand aufs Knie. »Bereit?«
    Julia fühlte sich überwältigt von so vielen Erinnerungen. Als sie aus dem Auto stieg, erkannte sie sogar die Gerüche wieder: nach feuchtem, frisch gemähtem Gras, dazu ein Hauch Jasmin an den Rändern des Rasens vor dem Haus. Sie folgten den Besuchern die Stufen hinauf zum Haupteingang des Gebäudes …

2
    Ich bin elf und stehe in der gewaltigen Eingangshalle, die mir vorkommt wie eine Kathedrale. Die Decke hoch über mir ist mit Wolken und feisten nackten Putten bemalt. Ihr Anblick fasziniert mich so sehr, dass ich nicht merke, wie mich jemand von der Treppe aus anstarrt.
    »Kann ich dir helfen, junge Dame?«
    Ich zucke zusammen und lasse fast den wertvollen Topf fallen, den ich in Händen halte. Mein Großvater hat mich hergeschickt, um ihn Lady Crawford zu geben. Wohl ist mir dabei nicht, weil ich Angst vor ihr habe. Aus der Ferne wirkt sie alt und dünn und mürrisch. Doch Großvater Bill wollte unbedingt, dass ich herkomme.
    »Sie ist sehr traurig, Julia. Vielleicht muntert die Orchidee sie auf. Nun lauf schon los. Sei ein gutes Mädchen.«
    Die Person auf der Treppe ist definitiv nicht Lady Crawford, sondern ein junger Mann, etwa vier oder fünf Jahre älter als ich, mit dichtem, kastanienbraunem Lockenhaar, die er, finde ich, für einen Jungen viel zu lang trägt. Er ist ziemlich groß und schrecklich dünn; seine Arme sehen unter den hochgerollten Hemdsärmeln aus wie Stöcke.
    »Ja, ich suche Lady Crawford, der ich das hier aus dem Gewächshaus bringen soll«, stammle ich.

    Er schlendert die übrigen Stufen herunter und bleibt mit ausgestreckten Händen vor mir stehen.
    »Wenn du möchtest, bringe ich ihr den Topf.«
    »Mein Großvater hat gesagt, ich soll ihn ihr persönlich geben«, erwidere ich nervös.
    »Leider hat sie sich gerade hingelegt. Ihr geht es nicht so gut.«
    »Das wusste ich nicht.« Am liebsten würde ich ihn fragen, wer er ist, doch ich traue mich nicht. Offenbar errät er meine Gedanken, denn er sagt: »Ich bin mit Lady Crawford verwandt, also kannst du mir vertrauen.«
    »Gut. Hier.« Ich gebe ihm die Orchidee, insgeheim erleichtert darüber, dass ich sie nicht persönlich aushändigen muss. »Könntest du Lady Crawford bitte von meinem Großvater sagen, dass das eine neue…« Ich habe Mühe, mich an den Ausdruck zu erinnern. »… Hybride ist, die Blüte gerade aufgegangen?«
    »Wird gemacht.«
    Ich bleibe stehen, unsicher, was ich als Nächstes tun soll. Ihm geht es genauso.
    Nach einer Weile fragt er: »Und, wie heißt du?«
    »Julia Forrester. Die Enkelin von Mr. Stafford.«
    Er hebt eine Augenbraue. »Ja, klar. Ich bin Christopher Crawford. Meine Freunde nennen mich Kit.«
    Er streckt mir die Hand hin, die nicht die Orchidee hält, und ich schüttle sie.
    »Schön, dich kennenzulernen, Julia. Ich habe gehört, dass du ziemlich gut Klavier spielst.«
    Ich werde rot. »Das glaube ich nicht«, widerspreche ich.
    »Sei nicht so bescheiden«, rügt er mich. »Ich habe die Köchin und deine Großmutter heute Morgen über dich reden hören. Komm mit.«
    Er zieht mich durch die
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