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One Night Wonder

One Night Wonder

Titel: One Night Wonder
Autoren: Kira Licht
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mir nicht mehr ganz sicher, ob das auf dieser Etage war.
    Die ganze Bude stinkt nach verbranntem Brot, Gras und ungewaschenen Menschen. Ich beschließe, nur noch durch den Mund zu atmen. Die meisten hier sind in irgendeiner Form in künstlerischer Ausbildung, das sieht man sofort. Jemand bohrt mir im Gewühl seinen Ellbogen unsanft in die Seite, und ich schnappe erschrocken nach Luft.
    Eigentlich muss ich schon seit einer Stunde dringend mal in das gekachelte Zimmer, aber mir graust es vor dem Gedanken daran. Ich kämpfe mich von Etage zu Etage und muss verzweifelt feststellen, dass keines der Badezimmer abzuschließen ist. Na, ganz super. Gerade stehe ich deprimiert im obersten Stockwerk und betrachte eine WC-Tür, in der sogar das komplette Schloss fehlt. Das darf ja wohl nicht wahr sein! Sind die hier alle im FKK-Club, oder hab ich etwas verpasst? Meine Laune sinkt ins Bodenlose. Ich muss mal, verdammt! Hmpf. Und zwar ohne Publikum.
    Dann bemerke ich ihn, weil er mich neugierig anguckt. Retro-Oberhemd, ungebügelt und zu weit aufgeknöpft, der Ansatz einer dunkelblonden Brustbehaarung. Die Rosenranken auf seinem Hemd erkenne ich trotz der dicken Luft. Tiefsitzende, helle Jeans mit leichtem Schlag. Dunkelblonde, wüste Haare mit leichten Wellen, große Nase. Er ist dünn, fast mager und geschätzte 1,90 in groß. Hui, wo hat der sich denn den ganzen Abend versteckt? Ich schaue zurück, behalte aber meinen angenervten Gesichtsausdruck. Ein gewisses anderes Thema hat im Moment eindeutig Priorität. Er lächelt mitleidig, ich gucke arrogant zurück. Ist ja schön, dass er sich so gut über mich amüsiert. Er nimmt das als Aufforderung, zu mir herüberzuschlendern.
    »Brauchst du Hilfe?« Er hat einen leicht amüsierten Blick drauf.
    »Schaffst du es, dich vor eine Tür zu stellen?«, frage ich, obwohl wir ja beide wissen, worum es geht. Er nickt und grinst. Dann drehe ich ihm erleichtert den Rücken zu. Endlich! Das Bad muss ehemals weiß gekachelt gewesen sein, jetzt haben die Fliesen einen klebrigen Grauschleier und unschöne Risse. Der Toilettendeckel ist mit einem grünen Frotteebezug geschmückt, der aussieht, als wäre er seit den Fünfzigern da drauf und seitdem auch nicht mehr gewaschen worden. Fast erwarte ich, dass mir bei genauerem Hinsehen statt der vormals flauschigen Fasern fadendünne Pilze entgegensehen. Die Badewanne mit Duschvorhang hat Ränder in unterschiedlichen Braungrautönen, fast wie Jahresringe an einem Baum. Der Vorhang war wohl mal durchsichtig, jetzt ist er gelblich verfärbt und brüchig. Duschutensilien jeden Verfallsdatums schmücken die Wannenränder.
    Ich rupfe ein Stück Toilettenpapier von der Rolle. Es ist schiefergrau und so hart wie eine Tageszeitung. Damit klappe ich den Deckel hoch und rechne mit dem Schlimmsten, doch von innen ist das Ding auffallend sauber. Ich garniere die Brille mit mehr Papier, ziehe mir Hose und String herunter und setze mich vorsichtig hin. Dieses Papiermanöver ist eine rutschige Angelegenheit: Passt man nicht auf oder ist angeschickert, rutscht man leicht runter vom Rand oder direkt in die Kloschüssel rein. Peinliche Sache, macht Krach und blaue Flecken und ist mir alles schon passiert.
    Eine Minute später betätige ich eine ohrenbetäubende Wasserspülung, die Niagarafälle sind ein Rinnsal dagegen. Hielte man die Hand in die Schüssel, würde sie einem glatt abgerissen. Und plötzlich habe ich eine Erklärung, warum das Ding von innen so blitzblank ist. Weiter zum Händewaschen: Das Stück Seife ist cremefarben, aber in den aufgesprungenen Ritzen schwarz. Ich mache die Augen zu und drehe das Wasser auf. Als ich die Badezimmertür wieder aufziehe, steht der Typ tatsächlich noch davor.
    »Besser?«, will er wissen, und plötzlich finde ich sein Lächeln ganz charmant. Ich nicke.
    »Paul«, sagt er.
    »Lilly«, sage ich und greife nach seiner ausgestreckten Hand. Große Hände, große Nase, hm. Ich sehe ihn mir genauer an. Er sieht zwar ungebügelt, aber nicht unbedingt ungewaschen aus.
    »Bist du ganz alleine hier?«, will er dann wissen.
    »Nee, eigentlich nicht. Freunde von mir sind schon nach Hause, und den Rest habe ich im Gewühl verloren.«
    »Ist ja auch leicht voll hier.«
    »Und du?«
    Er guckt sich um und lächelt: »Ich glaube, mein ganzes Semester ist hier.«
    »Was studierst du?«
    »Regie. Ich drehe Splatter-Filme.«
    Ja, klar doch, ein Blumenhemd tragender Horror-Regisseur. Ich gucke in sein Gesicht, um herauszufinden, ob er mich
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