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Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)

Titel: Oksa Pollock. Die Unbeugsamen (German Edition)
Autoren: Cendrine Wolf , Anne Plichota
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machte ein paar vorsichtige Schwimmzüge und dachte an ihre Großmutter, Dragomira, die ihr versprochen hatte, sich an genau diesem entscheidenden Punkt ihres Werdegangs als Junge Huldvolle wieder mit ihr zu treffen: zu ihrer Amtseinsetzung in der Kammer des Umhangs.
    »Baba? Bist du da?«, fragte Oksa mit belegter Stimme.
    Sie schwebte in der Luft, ohne dass sie hätte sagen können, ob sie sich in der Horizontalen oder in der Vertikalen befand. Um sie herum entpuppte sich die Kammer allmählich als eine Art riesiges Iglu mit einer perfekten halbrunden Kuppel, die auf milchig weiß schimmernden Säulen ruhte. Oksa drehte sich herum, um das Schauspiel hinter sich besser verfolgen zu können. Die Wände hatten ihre milchige Beschaffenheit verloren und gaben nun durch ihre kristallklare Pracht hindurch den Blick auf all jene frei, die sich im siebten Untergeschoss der Gläsernen Säule befanden. Oksa sah ihren Vater auf dem Boden sitzen, die Ellbogen auf den Knien, den Kopf in die Hände gestützt. Die Trennung von ihr lastete schwer auf ihm, zumal nach all den Prüfungen der letzten Zeit. Oksa »schwamm« zur Wand und legte die Hand an einen der Kristallblöcke.
    »Papa«, murmelte sie.
    »Er kann dich weder sehen noch hören, meine Duschka«, erklang eine Stimme ganz dicht neben ihr.
    »Baba!«, rief Oksa aus. »Du bist gekommen!«
    Der Lichthof, der sich vor ihren Augen abzeichnete, war sehr viel schwächer als jener, dem sie vor Kurzem noch in der Grotte der Singenden Quelle begegnet war. Und doch bestand kein Zweifel: die zu Schnecken aufgerollten Zöpfe, die stattliche Silhouette und vor allem die Stimme, tief und beruhigend – Dragomira hatte Wort gehalten, sie war da! Oksa schwebte auf sie zu, doch ihr entfuhr ein enttäuschter Ausruf, als sie den goldenen Schatten, zu dem ihre geliebte Großmutter geworden war, einfach so durchdrang. Ja, Dragomira war da. Aber vor allem war sie tot. Und es zerriss Oksa das Herz, daran erinnert zu werden. Was sie vor sich hatte, war die Seele ihrer Großmutter, die Fortsetzung ihres Lebens, eine Projektion der Ewigkeit, der ihre Baba jetzt angehörte. Es war zum Verzweifeln – und doch auch tröstlich. Der Schatten glitt um Oksa herum und umhüllte sie mit Wärme. Oksa unterdrückte ein Schluchzen.
    »Ich bin so froh, dass du bei mir bist«, sagte sie und wischte sich hastig die Tränen aus den Augen. »Ich hätte nämlich keine Lust, mich hier drin ganz allein zurechtfinden zu müssen.«
    »Hast du gezweifelt?«, fragte Dragomira.
    »Nein!«, erwiderte Oksa entschieden.
    »Also, warum weinst du dann?«
    Oksa wandte den Kopf ab und richtete den Blick dann wieder auf den goldenen Schatten.
    »Du fehlst mir so furchtbar, Baba …«
    Ihr versagte die Stimme.
    »Du mir auch, meine Duschka, du fehlst mir auch. Aber wir dürfen jetzt nicht schwach werden, sonst wäre alles, was wir bisher geschafft haben, alles, was wir ertragen mussten, umsonst gewesen. Sag mir, was du auf dem Herzen hast.«
    »Es gibt so vieles, was ich nicht verstehe«, fing Oksa an. »Aber vor allem möchte ich am liebsten diesen Dreckskerl von Ocious los sein, damit ich nicht ständig das schreckliche Gefühl haben muss, er könnte mir meine liebsten Menschen wegnehmen. Er ist zwar alt, aber er ist stark. Und gefährlich.«
    »So alt ist er gar nicht«, antwortete Dragomira mit einem kleinen Lachen.
    »Machst du Scherze, Baba? Er muss mindestens hundert sein!«
    »Was in Edefia das Alter der Reife ist. Und vergiss nicht, er hat bestimmt noch Intemporenta.«
    »Die Perlen der Langlebigkeit? Ja, das stimmt«, gab Oksa zu. »Aber, weißt du, ich hab keine Angst vor ihm. Wenn er mir nicht ständig mit seiner gemeinen Erpressernummer kommen und Papa und die Rette-sich-wer-kann bedrohen würde, könnte ich es ohne Probleme mit ihm aufnehmen. Und mit seinen Söhnen erst recht.«
    »Daran zweifle ich keinen Moment, meine Duschka. Aber selbst wenn du die Mittel besitzt, ihn herauszufordern, sei auf der Hut vor ihm. Und vor Orthon. Er ist noch schlimmer als sein Vater.«
    Oksa schwieg einen Augenblick, dann fragte sie: »Glaubst du, ich werde eines Tages wieder aus Edefia herauskönnen?«
    Der goldene Schatten verlor merklich an Glanz. Bisher hatte diese Frage immer das Bild der tödlich verwundeten Malorane heraufbeschworen und dann das von Dragomira, die sich auf der Spitze einer Sanddüne auflöste. Das Tor zwischen Edefia und dem Da-Draußen öffnete sich nur um den Preis des Lebens einer Huldvollen. Doch würde
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