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Odice

Odice

Titel: Odice
Autoren: Anais Goutier
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konnte. Leonor Fini, Leonora Carrington, Dorothea Tanning, Toyen, das waren stolze, selbstbestimmte Frauen mit ungeheurem Ichbewusstsein und enormem Freiheitsdrang. Was hatte solche Künstlerinnen dazu veranlasst, Bilder zu malen und Bücher zu illustrieren, in denen Frauen erniedrigt und gefoltert wurden?
    Der vermeintliche Widerspruch löste sich für Odice erst nach und nach auf, als sie erkannte, dass es hier nicht um die Unterwerfung der Frau, sondern um sexuelle Freiheit und weibliche Selbstbestimmung in jeglicher Form ging. Die Frau sollte nicht nur das Recht haben, zu leben wie und mit wem sie wollte, wie es die Surrealistinnen vorlebten, sie sollte ihre Sexualität auch in jeglicher Weise ausleben können. Und wenn diese weibliche Lust in Polygamie, Sodomie oder Sadomasochismus bestand, dann war auch das legitim. Es ging um nicht weniger als um die absolute sexuelle Gleichberechtigung, die selbst vor Submission und weiblichem Masochismus nicht Halt machte. Nachdem sich Odice dieser geradezu revolutionär-philosophische Ansatz erschlossen hatte, der den Gedanken der freien Liebe dreißig Jahre bevor er zum allgemeinen Thema wurde, so viel radikaler und konsequenter ausgedeutet hatte, sah sie die Texte und Illustrationen mit ganz anderen Augen. Zum ersten Mal gestattete sie sich, neben dem ästhetischen Wert auch die sinnliche Qualität dieser künstlerischen Arbeiten zuzulassen. Und sie hatte festgestellt, wie reizvoll und erregend die Texte und Bilder sein konnten, die ihre Rezipienten in die dunklen Bereiche der Lust entführten, hatte man das eigene, enggeschnürte Moralkorsett erst einmal gelockert.
    Odice musste sich eingestehen, dass sie die von Leonor Fini illustrierte Réage-Ausgabe und ihre Clovis-Trouille-Monographie fortan weitaus häufiger zur Hand nahm, als für ihre wissenschaftliche Arbeit notwendig gewesen wäre. Sie war fasziniert von Finis Interpretation einer wundervoll sündigen O mit Federmaske und nacktem Po und von Trouilles schönen barbusigen Frauen, die sich wollüstig den Blicken und Peitschenhieben der Männer hingaben. Anfangs schockierte es sie selbst, dass sie sich vom Anblick erniedrigter, gefolterter Frauen erregen ließ, aber war es nicht genau diese Freiheit des Geistes, die der Surrealismus propagiert hatte? Odice’ nächste Sade-Lektüre jedenfalls diente nicht der Recherche, sondern dem Vergnügen und auch die wiederholte Sichtung von Luis Buñuels Belle de Jour war nicht reinen Studienzwecken geschuldet. Ab und zu ertappte sie sich dabei, wie sie sich vorstellte, selbst in die Rollen dieser fiktionalen Heldinnen zu schlüpfen, gefesselt und gedemütigt zu werden, Blicken und fremden Begierden preisgegeben, der Lust und der Grausamkeit eines dominanten Mannes ausgeliefert zu sein.
    Natürlich hatte Odice nie in Betracht gezogen, sich ernsthaft auf derartige Spielarten der Sexualität einzulassen. Das alles spielte sich einzig und allein in ihrer Fantasie ab. Einen wirklich dominanten Mann, der von ihr Demut und Gehorsam erwartet und eingefordert hätte, hätte sie in ihrem Leben nicht gebrauchen und ein Machtgefälle zwischen sich und ihrem Partner niemals akzeptieren können. Dazu war sie selbst viel zu dominant und selbstbestimmt. Irgendwie geartete Abhängigkeit war für Odice absolut unvorstellbar. Außerdem konnte sie nichts anfangen mit all dem, was außerhalb des literarischen Bereichs mit diesem Thema in Verbindung stand. Sie hatte nichts übrig für Lack, Leder, Folterkammern, Fetische jeglicher Art. Nie im Leben hätte sie einen Fuß in ein entsprechendes Etablissement gesetzt oder einen Partner akzeptieren können, der sich in diesem Bereich umtat.
    Der Gedanke, einen Selbstversuch zu wagen, war erst nach dem Gespräch mit Pascal ganz allmählich in ihr gereift.
    Die von ihm beschriebene Offerte hatte zweifellos einen gewissen Reiz auf sie ausgeübt; zwei attraktive, kultivierte Herren, ein luxuriöses Ambiente, eine zeitliche Befristung, ein geradezu geschäftlich anmutendes Arrangement ohne weitere Verpflichtungen irgendeiner Art.

    Natürlich hatte Odice zuerst das Internet zu Rate gezogen, doch nirgends fanden sich Informationen zu diesem geheimnisvollen Institut. Es gab eine Privatadresse de Lautréamont in Paris und außerdem eine große Anwaltskanzlei, bei der ein gewisser Eric de Lautréamont als Seniorpartner geführt wurde. Aber weder Bilder noch einschlägige Berichte der Yellow-Press waren aufzutreiben.
    Der einzige Julien dieses Nachnamens war ein
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