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Odice

Odice

Titel: Odice
Autoren: Anais Goutier
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sitzende Hemd, das einen flachen Bauch und einen muskulösen Oberkörper verriet, ließen keinen Zweifel an seinem durchtrainierten Körperbau.
    Natürlich musste er ausgerechnet vor dem Gemälde mit der masturbierenden Geisha stehenbleiben. Wer sich wie Odice mit Gegenwartskunst beschäftigte und dann auch noch mit selbiger handelte, durfte nicht prüde sein. Dennoch war ihr die Situation peinlich.
    »Was Sie hier sehen, sind Werke von Takeo Masuyama. Er ist ein aus Japan stammender Künstler, der in Chicago lebt und arbeitet. Er verbindet die traditionelle Kultur seiner Heimat mit westlicher Popkultur zu schrillen, collageartigen Gemälden in der Tradition der Popart.«
    Odice versuchte, den üblichen Text abzuspulen, um sich nicht anmerken zu lassen, dass ihr die Situation unangenehm war, aber der Fremde unterbrach sie fast unwirsch: »Ich interessiere mich nicht für den Künstler. Ich interessiere mich für dieses Bild.«
    Seine blauen Eisaugen fixierten sie und seine Lippen umspielte erneut dieser süffisant-spöttische Zug. Es machte ihm sichtlich Spaß, sie in ein Gespräch über dieses spezielle Gemälde zu verwickeln. Jetzt wartete er gespannt darauf, was sie ihm zu diesem Bild erzählen würde.
    Odice zog eine Augenbraue hoch und begann zu referieren: »Wie Sie sehen, hat Masuyama sich auch hier von traditioneller japanischer Kunst inspirieren lassen und sie in trashige Popfarben gekleidet. Das Sujet referiert auf die Motivtradition der so genannten Shunga, auf japanische Holzschnitte und Gemälde mit explizit sexuellem Inhalt.«
    »Hören Sie schon auf damit«, knurrte der Fremde gelangweilt. »Sagen Sie mir, was Sie von diesem Bild halten. Sie ganz privat. Mögen Sie es oder stößt es Sie ab?«
    Odice’ erste Reaktion war ein höchst unprofessionelles Schulterzucken, aber er fixierte sie noch immer mit einem bohrenden Blick aus seinen herrlichen Augen.
    »Nun, die Darstellung einer Frau, die sich selbst verwöhnt, ist wohl kaum abstoßend. Sie werden mir zustimmen, dass ihre selbstversunkene Sinnlichkeit ein sehr erotisches Motiv ist, nicht unbedingt ein pornographisches. Gleichzeitig ist das Sujet aber natürlich provokant. Es irritiert in seiner Größe, in seiner prägnanten Direktheit, in seinen grellen Farben. Man ist gewohnt, so etwas als Zeichnung, als Graphik, als Aquarell mit feinem Bleistiftstrich im Zeichenblockformat zu sehen oder als Reproduktion in einem erotischen Bildband. Diese Arbeit aber ist beinahe raumgreifend. Diesem monumentalen weiblichen Geschlecht kann man sich nur schwerlich entziehen.«
    Diesmal hatte er ihr aufmerksam zugehört und der überhebliche, spöttische Zug um seinen Mund war verschwunden.
    »Na also, es geht doch. Gekauft!«
    Odice sah ihn verwundert an. »Wie bitte?«
    »Ich sagte: Na also, es geht doch. Gekauft!« wiederholte er geduldig und mit einem schelmischen und sehr anziehenden Grinsen auf den Lippen.
    »Ich verstehe Sie also recht, dass Sie dieses Gemälde hiermit erwerben möchten?«
    Er zog eine perfekt geschwungene Augenbraue hoch und nickte nachdrücklich.
    Odice runzelte die Stirn, verkniff sich aber einen weiteren Kommentar und wandte sich zum Schreibtisch, auf dem die Mappe mit der Preisliste lag.
    »Gut. Monsieur?«
    »Mein Name spielt keine Rolle. Meine Assistentin wird sich im Laufe des Tages mit Ihnen in Verbindung setzen und sich um die Kaufabwicklung kümmern.«
    »Aber wollen Sie denn nicht zuerst wissen, wie viel das Gemälde kostet?« fragte Odice irritiert.
    Der Fremde zuckte geradezu gleichgültig mit den Schultern. »Gut. Wenn Sie der Meinung sind, dass ich das wissen sollte.«
    Odice schüttelte grinsend den Kopf, als sie hinter den weißen Hochglanzschreibtisch trat und die lederne Mappe aufschlug.
    »Die Geisha liegt bei 14.500 Euro«, sagte sie und blickte kurz auf, um seine Reaktion zu beobachten, doch er zuckte nicht einmal mit der Wimper. Also fuhr sie fort: »Möchten Sie den Transport nach Ausstellungsende selbst organisieren oder dürfen wir Ihnen das Gemälde liefern? Selbstverständlich kümmern wir uns auch gern um Hängung und Beleuchtung.«
    »Aufhängen kann ich das Teil alleine. Aber es wäre entzückend, wenn Sie das gute Stück persönlich vorbeibringen würden. Ach was, entzückend – ich bestehe darauf!« Er schmunzelte, aber dabei sah er ihr so tief und intensiv in die Augen, dass Odice Schwierigkeiten hatte, diesem Blick standzuhalten. Dennoch zwang sie sich, den Blick nicht abzuwenden und der direkte
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