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October Daye: Winterfluch (German Edition)

October Daye: Winterfluch (German Edition)

Titel: October Daye: Winterfluch (German Edition)
Autoren: Seanan McGuire
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Dann schoben sich starke Hände unter mich, hoben mich vom Boden und beförderten mich ins Wasser. Ich tauchte tief hinab, weg von der Luft, weg von der Angst und weg von meiner eigentlichen Existenz. Die Instinkte meines neuen Körpers führten mich in die kühle Dunkelheit hinab, unter das Schilf, während ich versuchte, einen klaren Kopf zu bekommen. Die anderen Koi beobachteten mich teilnahmslos und vergaßen prompt, dass ich nicht immer unter ihnen gewesen war. Fische sind nun mal so.
    Alle Fische sind so, und dank Simon war ich nun selbst einer. Es gelang mir, mich zu zwingen, an die Oberfläche zurückzukehren und panisch nach Hilfe Ausschau zu halten, allerdings ohne welche zu entdecken. Simon und Oleander waren gegangen. Meiner hatte man sich entledigt. Ich war so gut wie tot, also brauchten sie sich meinetwegen auch nicht weiter den Kopf zu zerbrechen. Der Fisch, zu dem ich geworden war, übernahm mich wie Tinte, die in Papier sickert, und als ich wieder in die Tiefe sank, spielte nichts mehr eine Rolle. Weder Sylvester und Luna noch Cliff, der ewig darauf warten würde, dass ich nach Hause käme. Auch nicht mein Name, mein Gesicht oder wer ich wirklich war. Nicht einmal mein kleines Mädchen. Es gab nur das Wasser und die segensreiche Dunkelheit, die nunmehr mein Zuhause darstellte n … das Einzige, das ich vierzehn ganze Jahre lang kennen sollte.

Kapitel 1
    23. Dezember 2009: vierzehn Jahre und sechs Monate später
    Da ist Fenchel für Euch und Aglei;
    da ist Raute für Euch, und hier ist welche für mich;
    Ihr könnt Eure Raute mit einem Zeichen tragen.
    William Shakespeare, Hamlet
    S tockend hatte der Dezember in San Francisco Einzug gehalten, wie ein Besucher, der nicht sicher war, ob er bleiben wollte. Der Himmel präsentierte sich in der einen Minute blau, in der nächsten bedeckt. Touristen schwitzten oder froren mit ihrer Reisegarderobe, während die Einwohner an einem einzigen Nachmittag von Pullovern zu ärmellosen Hemden und wieder zurück wechselten. Das ist in der Gegend aber ganz normal. In der Bucht herrscht nahezu ständig Frühling, und die Farben der Hüge l – braun mit hoher Buschfeuergefahr im Sommer, grün und chronisch unter Schlammlawinen leidend im Winte r – bilden den einzigen wirklichen Unterschied zwischen den Jahreszeiten.
    Es war halb sechs Uhr morgens, und der Safeway-Supermarkt in der Mission Stree t – nie ein Highlight des Nachtlebens, ganz gleich, wie man es betrachtet e – wirkte praktisch verwaist. Der übliche Ansturm der Trunkenbolde und jugendlichen Nachtschwärmer lag schon Stunden zurück. Inzwischen hatten wir nur noch eine Ansammlung von Frühaufstehern, Nachtschichtpersonal und Obdachlosen auf der Suche nach einem warmen Plätzchen, an dem sie den Rest der Nacht verbringen konnten. Die Obdachlosen und ich hatten die stillschweigende Vereinbarung getroffen, einander zu ignorieren. Solange ich nicht zugab, dass ich sie sehen konnte, brauchte ich sie auch nicht aufzufordern zu gehen, und beide Seiten ersparten sich den ansonsten unvermeidlichen Ärger.
    Ich bin allmählich richtig geübt darin, Dinge zu ignorieren, die ich nicht sehen will. Man könnte es auch als eine »angeeignete Fähigkeit« bezeichnen. Jedenfalls arbeite ich weiter daran.
    »Bar oder mit Karte, Ma’am?«, fragte ich und gab mir keine Mühe, die Müdigkeit aus meinem Tonfall zu verbannen. In einer halben Stunde ging meine Schicht zu Ende, also würde ich gerade noch rechtzeitig nach Hause kommen, bevor die Sonne aufging.
    »Karte, Schätzchen«, antwortete die Frau an meiner Kasse. Sie fuhr sich mit einer Hand durch schmierige braune Locken und deutete auf mein Namensschild. »Ist das wirklich der Name, den dir deine Eltern gegeben haben?«
    Ich pappte mir ein Lächeln ins Gesicht und begann, ihre Waren mit der automatischen Mühelosigkeit einzutüten, die durch lange Übung entsteht. »Ja.« Sie kaufte sechs Halbliterbottiche Gourmet-Eiscreme und eine Zwölferpackung Cola Light. Ich habe schon seltsamere Einkäufe gesehen.
    »Wohl Hippies, wie?«
    Nein, eine Fae-Frau und ihr irischer Buchhaltergemahl. Aber das war unmöglich zu erklären, deshalb nickte ich nur. »Auf Anhieb erraten. Das macht 18,53 $.«
    Grunzend fuhr sie mit ihrer Visa-Karte durch das Terminal und wartete kaum, bis der Vorgang abgeschlossen war, bis sie nach ihren Einkäufen griff und auf die Tür zusteuerte. »Gute Nacht, Schätzchen.«
    »Ihnen auch, Ma’am«, rief ich zurück. Dann nahm ich ihre Quittung von der
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