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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
Autoren: Tricia Rayburn
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ich sogar einen Ansatz von Bauchmuskeln erkennen. Er wirkte größer, stand aufrechter. Er sah mehr wie ein Mann aus, nicht wie ein Teenager.
    »Die Gezeiten ändern sich, und Wolken ziehen auf.«
    Ich fing Justines Blick auf und wusste genau, was sie dachte: Der neue Sender bringt auch nur das Wetter.
    »Wir sind doch gerade erst angekommen«, meinte Caleb.
    »Und was ist mit dem Sonnenuntergang?«, fragte Justine. »Jedes Jahr nehmen wir uns vor, ihn von hier oben anzuschauen, und nie wird was draus.«
    Simon holte ein Shirt aus seinem Rucksack und zog es über, ohne sich erst lange abzutrocknen. »Sonnenuntergänge gibt es noch viele. Heute wird ihn die riesige Sturmfront verdecken, die gerade auf uns zugerast kommt.«
    Er wies mit einem Nicken auf den Horizont, und ich folgte seinem Blick. Entweder war ich zu sehr auf das Wasser konzentriert gewesen, um den Himmel zu bemerken, oder die schwarze Wolkenbank war aus dem Nichts aufgetaucht.
    »Ich habe mich über das Wetter informiert, bevor wir losgefahren sind – laut Ansage sollte der Himmel bis spätabends klar bleiben. Aber wie es aussieht, haben wir nur gut zwanzig Minuten, um vom Berg runterzukommen, bevorhier die Blitze einschlagen.« Simon schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, Professor Beakman könnte das sehen.«
    Bevor ich fragen konnte, was er damit meinte, begannen Caleb und Justine, mit gesenkten Stimmen zu diskutieren. Ich saß mit angezogenen Knien da, um mich warm zu halten. Simon hockte sich neben mich und fragte:»Alles okay?«
    Ich nickte und versuchte zu lächeln. Im Laufe der Jahre war Simon nicht nur für Caleb, sondern auch für Justine und mich so etwas wie ein großer Bruder und Beschützer geworden. »Mir ist ein bisschen kalt, und ich wäre froh, wenn ich dickere Gummisohlen unter den Turnschuhen hätte, aber sonst geht es mir prima.«
    Er zog einen weinroten Fleecepulli aus dem Rucksack und reichte ihn mir. »Das ist kein großes Drama, weißt du. Heute ist nur der erste Tag. Wir haben den ganzen Sommer. Und den nächsten Sommer und den nächsten.«
    »Danke.« Ich schaute beschämt beiseite. Er meinte es ehrlich, aber so kurz nach meinem Versagen wollte ich nicht daran erinnert werden.
    »Nein, wirklich«, sagte er mit leiser, aber fester Stimme. »Du solltest erst dann den Sprung wagen, wenn du bereit bist. Oder vielleicht auch nie, das ist völlig in Ordnung.«
    Ich zog den Fleecepulli über und war dankbar, dadurch eine Ablenkung zu haben.
    »Neuer Plan«, verkündete Justine.
    Ich griff nach Simons ausgestreckter Hand und zog mich auf die Füße. Justine und Caleb hatten sich voneinander losreißen können, aber nur lange genug, damit Justine sich aus den Handtüchern schälen konnte. Jetzt standen sie Hand in Hand am Klippenrand, und zwar rückwärts.
    Justine grinste. »Auch wenn uns die Zeit wegläuft: Das hier ist der erste Tag im voraussichtlich besten Sommer unseres Lebens, und er verdient einen würdigen Abschluss.«
    »Damit meinst du, wir gehen zurück zum Haus und wärmen uns mit heißer Schokolade auf?«, schlug ich vor.
    »Meine alberne kleine Nessa.« Justine warf mir eine Kusshand zu. »Caleb und ich werden noch einen letzten Sprung wagen.«
    »Mit dem gewissen Extra«, fügte Caleb hinzu.
    Während die beiden verschwörerische Blicke tauschten, schaute ich zu Simon hinüber. Ihm stand der Mund offen, als warte sein Gehirn auf die richtigen Worte, um dieser Idee möglichst schnell den Todesstoß zu versetzen. Seine ungewohnt breiten Schultern spannten sich unter dem dünnen Stoff des T-Shirts. Seine Hände, mit denen er mir aufgeholfen hatte, ballten sich an den Seiten krampfhaft zusammen.
    »Rückwärtsrolle!«, rief Justine.
    »Nein«, sagte Simon. »Kommt nicht in Frage.«
    Ich konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Genau das liebte ich so an Justine, auch wenn ich sie gleichzeitig darum beneidete. Während ich immer noch ein Nachtlicht zum Schlafen brauchte, keinen Stephen-King-Roman lesen konnte und mein Körper sich weigerte, von einer völlig ungefährlichen Klippe zu springen, lebte Justine genau für diese Momente voller Herzklopfen und Adrenalin, die ich krampfhaft vermied. Hier standen wir, nur ein paar Minuten davon entfernt, klitschnass und vom Blitz verkohlt zu enden, und sie wollte sich einen tödlichen Elektroschock sichern, indem sie in einen Wasserstrudel sprang – rückwärts.
    »Das dauert nur zwei Minuten«, sagte Caleb. »Ihr könnt mit dem Abstieg beginnen, sobald wir gesprungen sind, und
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