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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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eisigen Winkel und das ausgelaugte, leichenartige Wesen des Gesichtes bizarr hervortreten. Dazu noch die völlige, maskenhafte Starre, der versteinerte Leib, der erloschene Blick, dazu ein ungewisser Ausdruck trauriger Verblödung, mit allen demütigenden Anzeichen der Idiotie, mußte dies nicht aus der Erscheinung des Mannes etwas Unbeschreibliches machen, das menschliche Worte auszudrücken zu schwach sind? Aber ein guter Beobachter und gar ein Rechtsanwalt, hätte außerdem in dieser Ruine eines Mannes noch Spuren tiefen Leidens gesehen, die Zeichen eines Jammers, der ihn Schritt für Schritt erniedrigt hatte, wie ewig fallende Tropfen selbst ein Marmorbild entstellen mögen. Ein Arzt, ein Dichter, ein Beamter, sie hätten eine Tragödie geahnt beim Anblick dieses Mannes, dieser edlen Schreckensgestalt, der man wenigstens eines nicht abstreiten konnte: den grotesken Phantasiefiguren gleich zu sein, wie sie die Maler spielend am Rande ihrer Radierungen hinzeichnen, wenn sie mit Freunden plaudern.
    Beim Anblick des Advokaten lief über den Unbekannten ein krampfhafter Schauer, vergleichbar dem Erschrecken des Dichters, wenn ihn ein unvermutetes Geräusch aus seinen holden Träumen reißt, mitten in der Nacht, im Schweigen. Der Alte zögerte keinen Augenblick, die Kopfbedeckung abzunehmen und den Advokaten zu begrüßen. Ohne Zweifel war aber das Schutzleder seines Hutes sehr fett, denn seine Perücke blieb daran kleben, ohne daß er's merkte, und man erblickte plötzlich einen Schädel, schauderhaft verunstaltet durch eine Narbe von einem Ende zum andern, beginnend am Hinterhaupt und erst über dem rechten Auge endend, ein breiter flammend roter Streifen. Das plötzliche Verschwinden der schmierigen Perücke, die der Mann getragen, um seine starke Narbe zu verbergen, gab den zwei jungen Rechtskundigen nicht gerade Lust zum Lachen. So furchtbar war der gespaltene Schädel anzusehen. Was konnte man anderes denken, wenn man diese Narbe sah, als: Auf diesem Wege ging der Geist dieses Menschen dahin!
    Ist es nicht der Oberst Chabert – ein Soldat ohne Furcht und Tadel ist es auf jeden Fall!
    »Mein Herr,« sagte Derville, »mit wem habe ich die Ehre zu sprechen?«
    »Mit dem Obersten Chabert.«
    »Welchem?«
    »Dem bei Eylau gefallenen«, antwortete der Alte. Als sie diesen sonderbaren Satz hörten, warfen sich Chef und Schreiber einen Blick zu, der sagen sollte: Der Mann ist verrückt.
    »Mein Herr,« setzte der Oberst fort, »ich hätte sehr den Wunsch, Ihnen allein das Geheimnis meiner Lage mitzuteilen.«
    Eine immerhin bemerkenswerte Eigenschaft ist die Unerschrockenheit der Advokaten. Sei es, weil sie gemeiniglich eine große Anzahl Menschen zu empfangen gewohnt sind, sei es das tiefe Gefühl für den Schutz, den ihnen die Gesetze angedeihen lassen, sei's das Vertrauen auf ihre Mission, sie treten ohne Furcht und Zagen über jede Schwelle, wie es die Ärzte tun und die Priester. Derville gab dem Schreiber ein Zeichen, und er verschwand.
    »Mein Herr,« sagte der Rechtsanwalt, »während des Tages bin ich nicht sehr sparsam mit meiner Zeit, aber während der Nacht wiegt mir jede Minute schwer. Bitte, seien Sie kurz und bündig. Nähere Aufklärungen werde ich selbst erbitten, falls sie notwendig scheinen sollten. Sprechen Sie!« Er ließ den sonderbaren Klienten Platz nehmen, setzte sich vor seinen Tisch, dann blätterte er, während er seine ganze Aufmerksamkeit auf die Unterredung mit dem ehemaligen Oberst konzentrierte, in seinen Aktenheften.
    »Mein Herr,« begann der Verstorbene, »vielleicht ist Ihnen nicht unbekannt, daß ich bei Eylau ein Kavallerieregiment geführt habe. Ich hatte viel Glück bei dem berühmten Angriff, den Murat befohlen hat, und der die Wagschale des Sieges zu unsern Gunsten sinken ließ. Sehr zum Unglück für mich aber ist mein Tod ein historisches Ereignis, niedergelegt in den Victoires et Conquètes, wo er mit allen Details dargestellt ist. Wir hatten kaum die drei Linien der Russen durchbrochen, als sie sich alsobald hinter uns schlossen und uns zwangen, in entgegengesetzter Richtung nochmals durchzubrechen. Im Augenblick, da wir die Reihen der Russen zerschmettert haben und zum Kaiser zurückgaloppieren, stoßen wir auf das Gros der feindlichen Reiterei. Ich stürze mich auf diese Eisenköpfe. Zwei russische Offiziere, wahre Enakssöhne, werfen sich zugleich auf mich. Der eine schmettert mir einen Säbelhieb auf den Kopf, so übermächtig, daß er alles außer einer seidenen Mütze,
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