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Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
Autoren: Claire Seeber
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die sie auch tatsächlich war. Das Publikum tobte. Das war immer so. Kein Mensch da draußen wusste, wie viel Blut und Schweiß wir in Renee steckten, niemand erfuhr von (unseren) Tränen und (ihren) Wutanfällen und so weiter und so fort.
    Sie hob die Hand und bat um Ruhe. Die Stille legte sich wie eine Decke über das Studio. Jetzt sprach Renee. Oh, ich wusste genau, warum sie so anziehend wirkte. Sie fesselte ihr Publikum einfach - sie war die Freundin eines jeden Mannes, die Vertraute einer jeden Frau, wenn ihr gütiger Blick sich auf die Zuschauer senkte. Wie den Fisch an der Angel zog sie sie immer näher heran, bis sie die Spannung kaum noch ertragen konnten. Sie senkte ihre Stimme und lud sie ein, näher zu kommen und ihre Welt zu teilen.
    In diesem Moment, als ihre Worte über mich hinwegwogten, entspannte ich mich ein wenig. Der Adrenalinschub war immer noch da, aber ich konnte Renee in ihrem eigenen Spiel schlagen. Ich wusste genau, wie das ging. Gott weiß, dass ich lange genug in diesem Business war. Früher war ich ebenso naiv wie das Publikum. Ich glaubte auch, dass das, was im Fernsehen passierte, dem Allgemeinwohl diente. Mittlerweile aber war ich recht hartgesotten. Ich wollte der Falle entkommen. Eben aus diesem Grund hatte ich den Deal mit Charlie gemacht. Ich beschloss, Charlie alles verwenden zu lassen, was er über mich hatte, alles, was vor dem Unfall geschehen war, als meine Welt in sich zusammengestürzt war. Ich war zu schwach gewesen, einfach nicht kampfbereit, als er damals zu mir kam. Nur war ich mir jetzt nicht mehr sicher, ob ich die richtige Entscheidung getroffen hatte.
    Aber zumindest wusste ich, was sie von mir wollten. Und ich musste es ihnen geben. Es war ja nur einmal, ein einziges Mal, dass ich auf der anderen Seite stand, geschminkt und mit dem Mikro im Ausschnitt. Und mit dem Drink unter meinem blauen Plastiksessel, von dem das Publikum nichts wusste. Ich nahm noch einen Schluck und schob die Flasche dann mit meinem gesunden Fuß unter den Sessel. Ich atmete tief durch und dachte an Charlies Versprechen. Ich konnte mich noch gut an seine kaum verhohlene Drohung erinnern. Ich musste nur aufpassen, dass ich nicht zu viel von mir preisgab. Irgendwie hatte ich das Gefühl, wieder auf der Sandbahn unserer Schule zu sein und meinen Vater zu hören, der mir von der Seitenlinie zurief: »Weiter, Maggie, weiter.« Nur trieb ich mich jetzt selber an. Ich war bereit. Was immer Renee mir entgegenschleudern würde, ich war darauf gefasst.
    Renee war bei den Schlussweisheiten angelangt. Dann schenkte sie dem Publikum ein niedliches kleines Winken und ging ab. Kay drückte mir noch einmal die Hand. Charlie stand hinter dem Vorhang und strich sich sein dickes, langsam ergrauendes Haar zurück, bevor er mir pflichtgemäß den erhobenen Daumen entgegenstreckte. Amanda zählte den Countdown herunter. Der Vorspann zur Show flammte auf den Monitoren auf. Die Spannung jeder Live-Show lag in der Luft, so real und greifbar wie der Schweiß, der mir über den Rücken lief. Und dann war wieder Renee da, wieder winkend. Das Publikum hieß sie willkommen. Man klatschte und pfiff, bis sie auf den Ernst des heutigen Themas hinwies. Sofort trat Stille ein.
    In diesem Augenblick fiel mir das Mädchen zum ersten Mal auf. Sie saß zwei Sessel weiter, neben dem berühmten Trauma-Spezialisten, den Sally irgendwo ausgegraben hatte. Das Mädchen war unglaublich. Ihr dunkles Haar umrahmte das herzförmige Gesicht. Sie stützte mit der einen Hand auf Mitleid erregende Weise ihren Gipsarm ab. Als hätte sie meinen Blick bemerkt, wandte sie sich mir zu. Sie zwinkerte, dann lächelte sie mich an. Das Lächeln ließ ihre Veilchenaugen erstrahlen, deren tiefer Blick mich mit Wärme umfing. Ich hatte irgendwie ein komisches Gefühl dabei, so als würde mich ein Hauch aus einer anderen Welt streifen.
     

Kapitel 2
    Zum Glück für die Show kam Sallys Anti gerade noch rechtzeitig, bevor wir auf Sendung gingen. Für ihn war das natürlich kein Zuckerlecken. Der arme Mann hatte nicht den Hauch einer Chance. Er war Löwenfutter und nur dazu da, in der Luft zerrissen zu werden. Die hungrige Meute wartete schon auf das Schlachtfest. Er hieß Simeon Fernandez und war eine Art New-Age-Verhaltenstherapeut, der den Leuten erklären wollte, dass posttraumatischer Stress nur im Kopf entstand. Er hatte darüber sogar ein Buch geschrieben, das er vorstellen wollte. Er war es, der Fay und mich zusammenbrachte.
    Renee überließ
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