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Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
Autoren: Claire Seeber
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paar Sekunden lang wurde es ruhig, als eine Welle der Aufregung über die Croissants hinwegschwappte. Renee kümmerte sich für gewöhnlich nicht um die Gäste der Show, doch diese sollte ein echter Renner werden. Ein absoluter Quotenbringer. Der Idealfall: der tragischste Unfall des Jahres - gerade rechtzeitig vor der Fernsehpreis-Nominierung. Ich zuckte innerlich zusammen. Sally war schon fast wieder durch die Tür.
    »Sal«, zischte ich hinter ihr her. »Ich werde mich mit niemandem in die Wolle kriegen. Wirklich nicht. Charlie hat’s versprochen.«
    Ein Schatten flog über Sallys Gesicht. »Hab Geduld mit mir, okay, Maggie? Daisy, bring das Band mit den Schlagzeilen in die Technik. Und zwar sofort.« Dann war sie weg.
    In einem Zug schüttete ich mein Glas Wein hinunter. Die Schlagzeilen. Dieser massive Ansturm von entsetztem voyeuristischem - ja was? Vergnügen vielleicht? Eine Flut hysterischer Sympathie für unser schreckliches Busunglück. Schuldzuweisungen, Scham und Leid. Ich war alldem aus dem Weg gegangen. Bis jetzt. Nur manchmal, wenn eine Krankenschwester vergessen hatte, den Papierkorb …
    Ich hielt meine Gedanken an. Es musste sein. Mein Kopf schmerzte, und ich brauchte unbedingt eine Zigarette. Mehr denn je wollte ich hier raus. Ich musste verrückt gewesen sein, mich zu dieser Sache bereit zu erklären. Mir fiel nicht einmal mehr ein, wieso ich es überhaupt getan hatte. So unauffällig, wie mein kaputtes Bein es nur zuließ, näherte ich mich Zentimeter für Zentimeter der Tür. Plötzlich stand da Daisy.
    »Alles okay?« Sie lächelte wieder ihr grauenhaft schmallippiges Lächeln.
    »Ich brauche eine Kippe.« Ich versuchte, sie meinerseits anzulächeln. Jemand blieb neben ihr stehen und fragte, wo er sich umziehen könne. Und das war’s. Ich war so schnell weg, wie meine Krücken es zuließen. Doch ich würde nie rechtzeitig hinauskommen. Also steuerte ich aufs Klo zu. Vielleicht würden sie mich ja hier nicht suchen. (Dort sahen sie immer zuerst nach. Ich war sicher nicht der erste Gast, der sich hinter einer verriegelten Toilettentür versteckte.) Die Kabine ganz am Ende war frei. Ich lehnte mich gegen die Tür und suchte hektisch nach meinen Zigaretten. Meine Leichen im Keller klapperten nicht nur, sie warfen sich mit Ungestüm gegen die Wand. Meine Hände zitterten so sehr, dass ich das Feuerzeug fallen ließ. Ich fluchte innerlich. Zwei Frauen unterhielten sich über die Trennwand hinweg über Renee. »Und dieser tolle Haarschnitt«, flachste die eine. Wenn sie nur wüssten. Normalerweise hätte ich gekichert, heute aber war mir zum Weinen zumute. Alles war verkehrt. Das Schlimmste war, dass ich mich selbst verachtete. Mir war nicht klar gewesen, wie schlimm ich all das finden würde. O Gott. Ich wusste nicht einmal, was mir mehr Angst machte: dass ich zum ersten Mal zu den Gästen gehörte oder dass ich über … die Sache … sprechen sollte. Die Vergangenheit wieder aufwühlen. Würden sie sich in mein Innerstes bohren und dort Dinge entdecken, die ich jahrelang unter Verschluss gehalten hatte? Ich machte tiefe Züge auf Lunge. Wahrscheinlich konnte ich noch fünfmal ziehen, bevor der Rauchmelder ansprang. Die Frauen machten sich geräuschvoll davon, nicht ohne ein paar bissige Bemerkungen übers Passivrauchen loszuwerden. Ich hielt die Kippe zwischen die Lippen geklemmt, während ich nach Tabletten suchte.
    »Maggie?« Amandas tiefe Stimme. Sie war die Verantwortliche für diese Etage. »Bist du hier?«
    Daisy hatte also die ganze verdammte Truppe aufgescheucht. Ich hielt den Atem an, dann stieg mir der Rauch in die Augen und in die Nase. Ich musste husten.
    »Noch zehn Minuten, Liebes.«
    Es war sinnlos. »Ich komme gleich«, flüsterte ich verzweifelt.
    »Ich warte auf dich.«
    »Super.« Ich nahm noch einen tiefen Zug, dann warf ich die Kippe in die Toilettenschüssel, wo sie mit einem leisen Zischen verendete. Ich trocknete mir die schweißnassen Hände an den Jeans ab und öffnete, ungeschickt auf eine Krücke gestützt, die Tür.
    »Liebes!« Amanda umarmte mich. Dann schnüffelte sie ein bisschen. »Rauchst du etwa, du schlimmes Mädchen? Wie geht’s dir denn, du armes Ding?« Ich fühlte mich wie ihre Labradorhündin.
    »Ach, weißt du …«
    »Willst du nicht endlich rauskommen? Du sollst dein armes Bein nicht belasten. Tut es sehr weh?«, meinte sie mit einem scheelen Blick auf mein Bein. Als würde es gleich einknicken, oder schlimmer noch: abfallen. Meine Krücke verhakte
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