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Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
Autoren: Claire Seeber
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Passagiere kreischen. Sie schreien, als hätten sie nur einen Mund, denn der Bus schlingert mit einem Mal, schwankt hin und her. Er findet das Gleichgewicht nicht mehr, kippt zur Seite und schießt über die Straße hinein ins Chaos - der Bus schrammt auf der Seite dahin, ohne dass ihn irgendetwas aufhält. Ich befinde mich waagrecht zur Fahrbahn, und blaue Funken schlagen vor meinen Augen aus dem Asphalt, als bearbeite ein Schweißer den Boden unter mir. Dann werde ich vorwärtsgeschleudert, treffe hart auf einen anderen Körper auf und verliere vollends die Orientierung.
    Ich kann nichts sehen und rudere mit den Armen gegen die Finsternis an. Keuchend werde ich gegen eine Metallkante gedrückt. Ein brennender Schmerz schießt durch meine linke Schulter, als ich aufpralle. Das muss das Dach gewesen sein. Irgendwo weint kläglich ein Kind. Ein Fuß drückt sich in meine Eingeweide, eine Faust schlägt mir vor Angst auf den Mund. Meine Hände fahren zum Gesicht, während mir etwas seltsam intim Anmutendes darüberstreicht. Dann wühlen sich Haare in meinen Mund. Ich fange zu husten an. Mir wird schlecht. Ich ringe nach Luft, nach kostbarer Atemluft. Dann überkommt mich erneut die Panik: Bin ich etwa blind? Wir bewegen uns immer noch. Warum zum Teufel bleibt das Ding nicht endlich stehen?
    Ein Knall: Der Mittelgang wird eingedrückt, während der Bus weiter dahinrumpelt, jetzt auf dem Dach. Langsam, langsam kommen wir zum Stillstand. Jemand neben mir kreischt und kreischt, weiter und immer weiter …
    Schließlich ein metallisches Knacken, das dem Kreischen ein Ende setzt. Der Bus schiebt sich auf die Überholspur. Mein Kopf ruckt zuerst nach vorne, dann wird er wieder zurückgeschleudert. Es gibt ein dumpfes Geräusch, als der erste Lastwagen auf uns aufprallt und sich in uns bohrt, dann noch einer und noch einer. Ein heißer Blitz schießt durch mein linkes Bein. Schließlich wird es still - beinahe. Der Klang einer einzelnen Hupe dringt durch die vollkommene Schwärze um uns herum. Dann weiteres Hupen. Ein ganzer elektronischer Klagechor. Neben mir ein Wimmern, das sich ausbreitet wie ein Lauffeuer. Endlich sind wir zum Stillstand gekommen, und nun ist da nichts mehr. Nur Dunkelheit. Nur das seufzende Geräusch meines Atems, während ich mich zusammenrolle und mich frage: Ist dies nun der Tod?
     

Kapitel 1
    »Maggie Warren?«
    Ich bin dazu noch nicht bereit.
    Ich war gerade dabei, meine Meinung zu ändern, als das Mädchen mich holte.
    Ich lächelte. Ein Lächeln, so falsch, dass es meine Gesichtszüge auseinanderbrechen ließ.
    Sie war neu. Sie musste angefangen haben, nachdem …
    Nachdem ich weg war. Sie wirkte selbstsicher. Sogar ausgesprochen selbstsicher. Viel selbstsicherer jedenfalls, als ich in ihrem Alter war. Und in ihrem Ausbildungsstadium. Sie war jung und blond und hatte einen flotten Gang, der ihre Schnittlauchhaare wippen ließ. Ihre Lederstiefel erzeugten jenes hohle Klack-klack, das - ich weiß nicht, was - versprach. Genau Charlies Typ.
    »Ich bin Daisy«, warf sie mir über die makellose Schulter zu, während ich versuchte, mit ihr Schritt zu halten. Ich war ohnehin schon durcheinander, und ihr hoch erhobenes Haupt machte mich noch nervöser. Wusste sie etwas, was ich nicht wusste? Verbissen folgte ich ihr über den Korridor und mühte mich mit meinen Krücken schwerfällig durch die Türen. Ich wartete darauf, dass sie etwas sagte. Was sie nicht tat. Krampfhaft suchte ich nach passenden Worten. Ich versuchte, mich in ihre Position zu versetzen, und dachte an all die Belanglosigkeiten, die ich in diesem Job von mir gegeben hatte. Diese Typen haben es nicht besser verdient, hatte ich immer gedacht. Was Daisys Drehbuch anging, so gehörte ich nun wohl auch zu »den Typen«. Dabei war ich doch anders, vielleicht.
    Irgendwie musste ich die Stille ausfüllen - die Stille hinter dem Klack-klack ihrer Dominastiefel. Sie schenkte mir ein schmallippiges Lächeln, als sie die nächste Doppeltür aufstieß und auf mich wartete. Wenigstens wippte sie nicht ungeduldig mit den Zehen, als sie lächelnd meinte: »Ich führe Sie wie das Lamm zur Schlachtbank.«
    »Haben Sie denn schon vorher bei Double-decker gearbeitet?«, fragte ich.
    Sie schüttelte ihr Schnittlauchhaar. »Ich kam von der Beep.«
    Ich hasste Menschen, die diese Abkürzung für die BBC benutzten.
    »Graduiertenpraktikum.«
    Diese Sorte konnte ich schon gar nicht leiden. Der Klassiker: die Studentin, die gerade ihren Abschluss gemacht hat und
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