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Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden

Titel: Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden
Autoren: Claire Seeber
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den Mülleimer. »Ich glaube auch nicht.«
     
    Am Tag, als mir die Fäden gezogen wurden, fuhr ich zusammen mit meinem Vater nach Pendarlin. Er ging ins Cottage und holte einige meiner Sachen, die ich brauchte. Ich versuchte krampfhaft, nicht den Baum anzusehen, an den Sebs Wagen gekracht war. Dann biss ich die Zähne zusammen und marschierte durch den Obstgarten auf Digbys Grab zu. Zu meinem Erstaunen hatte Alex eine kleine rosafarbene Azalee auf den Grabhügel gepflanzt. Und er hatte eine alte Schieferplatte genommen und sie vor den Busch in die Erde gesteckt. Darauf stand:
    UNSEREM GELIEBTEN DIGBY, 2001-2007
der starb, als er seiner geliebten Herrin das Leben rettete.
Alle, die ihn liebten, vermissen ihn.
Vor allem Maggie und Alex.
Mögest du im Himmel viele, viele Löcher buddeln.
     
    Heiße Tränen stiegen mir in die Augen. Ich stand da und sah die Tafel an, bis mein Vater hinter mir auftauchte und den Arm um meine Schultern legte. »Komm, Kleines«, sagte er, »lass uns nach Hause fahren.« Dieses Mal fuhr ich gerne ab. Tief in mir drin wusste ich, dass diese Wunde heilen würde. Dass ich eines Tages nach Pendarlin zurückkommen und hier wieder glücklich sein würde. Die Gewitterwolken würden sich verziehen, dann würden Mutter und Gar und all meine glücklichen Kindheitserinnerungen wieder zum Vorschein kommen und die jüngsten Ereignisse überdecken. Aber für den Augenblick brauchte ich Distanz.
     
    In London kehrte ich in die Wohnung über dem Tortenshop zurück, aber ich konnte mich nicht mehr einleben. Offensichtlich hatte Alex sie vom Markt genommen. Ich war froh darum, so hatte ich wenigstens einen Ort, an dem ich entscheiden konnte, was ich als Nächstes tun würde. Und doch wusste ich, dass ich nicht mehr lange hier sein würde. Ich besuchte Gar jeden Tag. Sie war so ruhig wie immer, ganz in ihrer Welt abgetaucht, vielleicht ein bisschen zerbrechlicher als sonst. Sie hatte einen schrecklichen Husten, und Susan gab mir durch die Blume zu verstehen, dass meine Großmutter den Kampf wohl nicht mehr aufnehmen wolle.
    Bel rief mich regelmäßig an und wollte mich unbedingt nach Australien locken. Charlie rief an und bot mir Arbeit an. Ich versteckte mich, weil ich allein sein wollte, um zu entscheiden, was ich mit meinem Leben anfing. Und ich würde mich bald entscheiden müssen, denn mein Sparkonto schrumpfte schön langsam gegen null. Ich versäumte keinen meiner Untersuchungstermine im Guy’s Hospital und ging morgens an der grauen Themse spazieren, noch bevor Touristen den Kai überschwemmten. Ich marschierte zu Shakespeares Old Globe Theatre, zur Tate Gallery und wieder zurück, wobei mir Digby schrecklich fehlte. Am liebsten hätte ich wieder zu laufen angefangen und sah den schwitzenden Joggern, die morgens an mir vorbeikeuchten, voller Neid zu. »Wenn Sie wieder fit sind«, meinte der junge Physiotherapeut mit dem frischen Gesicht, der sich um mein krankes Bein kümmerte, »müssen Sie es langsam angehen lassen. Sonst gibt’s Probleme.«
    Als ich am Weihnachtsvorabend von einem Besuch bei Gar in die Wohnung zurückkam, hielt mich die pelzumhüllte Mrs Forlani mit dramatischem Gestus auf:
    »Bellissima, dies hat ihr hübscher Freund für Sie hiergelassen.« Spielerisch stupste sie mich an. »Er ist ja so groß! Ich finde das immer toll an einem Mann. So wie es sich gehört eben. Ich habe die Kleinen noch nie gemocht. Als ich Matteo heiratete, habe ich ihm auch gesagt, er müsse noch ein paar Zentimeter wachsen.« Sie hatte Weihnachtseinkäufe gemacht, daher flogen ihr fast die Päckchen davon, als sie theatralisch mit den Schultern zuckte. »Aber natürlich wächst er kein bisschen.«
    »Das stimmt wohl.« Ich nahm die Päckchen, die sie mir hinhielt, und wusste nicht, was ich sagen sollte: »Du meine Güte. Vielen Dank.«
    »Ich habe Ihnen einen kleinen Panettone dazugelegt.« Sie klopfte auf die pinkfarbene Schachtel. »Zum Weihnachtsfest. Kommen Sie doch herüber, und trinken Sie ein Glas Prosecco mit uns, bevor wir nach Hause fliegen, si, bella?«
    »Ja, gerne. Ich verspreche es.«
    In der Wohnung angekommen blieb ich eine Zeit im Dunkeln sitzen. Die Lichter von der Straße flackerten über die frisch gestrichenen Wände. Vor dem Pub hatten sich Weihnachtssänger aufgebaut und trällerten eine Weise, die mir das Herz eng werden ließ. Ich öffnete das Päckchen mit der roten Satinschleife. Darin lagen einige Notenblätter, eine Postkarte, auf der Mozarts Klavier abgebildet war, und ein
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