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Nobels Testament

Nobels Testament

Titel: Nobels Testament
Autoren: Liza Marklund
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sechszackigen Sternen im Säulengang blieb sie stehen und rüstete sich für den schwindelerregenden Saal, eintausendfünfhundertsechsundzwanzig leicht asymmetrische Quadratmeter. Die Tafel war aufgehoben, Menschen drängten sich über den Marmorboden, Lichter in Tausenden von Gläsern. Das Königspaar war gegangen und mit ihm natürlich auch die Sicherheitsbeamten. Sie gönnte sich einen einzigen Augenblick der Entspannung, stellte fest, dass sie viel lieber am Essen teilgenommen hätte, als ihren Job zu verrichten. Auf der Karte hatte »Nordische Winde« gestanden. Das hörte sich eigentlich ziemlich ekelhaft an, aber die Tischdeko gefiel ihr.
    Mist, dachte sie, ich muss mir eine andere Beschäftigung suchen.
    Na ja. Station Nummer vier. Nach rechts, schmale Schultern, unbestimmbarer Blick.
    Sie kam hinter den paarweise angeordneten Granitsäulen hervor und ging in Richtung der Treppe, zehn Schritte mit hohen Absätzen. Jetzt konnte sie die Musik aus dem Goldenen Saal deutlich vernehmen, und sie durfte noch nicht aufhören.
    Plötzlich stand ein Mann vor ihr und sagte etwas Unverständliches, sie hielt inne und machte einen Schritt zur Seite, dann noch einen. Der Idiot ließ sie nicht durch, sie musste sich an ihm vorbeizwängen und eilte dann nach oben. Vierundzwanzig Treppenstufen, dreizehn Zentimeter hoch, neununddreißig Zentimeter tief. Dann kam der lange Balkon, die Galerie vor der Blauen Halle mit sieben Eingängen zum Goldenen Saal, sieben Türen zu dem darin befindlichen Kunstwerk »Die Mälarkönigin und Sankt Erik«.
    Dancing close to st erik.
    Sie huschte weiter, drängelte sich durch, effektiv, aufgewärmt und schnell, ließ Tür um Tür hinter sich, bis sie die letzte erreichte. Die Musik wurde lauter, Tonartwechsel, das Stück näherte sich dem Ende, und sie begab sich direkt in die Menschenmenge, zwischen die tanzenden Mitbürger. Jetzt galt es zielgerichtet zu arbeiten.
    Zum ersten Mal während dieses Auftrags verspürte sie das wohlbekannte Kitzeln, den sprühenden Rausch, der ihre Sinne schärfte, die wogende Befriedigung. Millionen Mosaikteilchen blendeten ihre Augen, stachen in ihrem Kopf, sie schaute sich um, die Musiker bei der hässlichen Mälarkönigin auf der anderen Seite des Saals machten sich für das Crescendo bereit. Ihr Blick raste über Kleider und Menschen, musste das
Ziel jetzt
erfassen.
    Und da war es.
    Genau da, in perfekter Linie von Station Nummer fünf zu Station Nummer sechs, tanzend, holpernd, ha, ha.
    Noch neunzig Sekunden. Sie schickte eine SMS an ihren Komplizen, hob den rechten Arm, öffnete ihre Handtasche und ließ das Telefon hineinfallen. Sie tastete nach der Pistole.
    Im selben Moment wurde sie von links von einem lachenden Menschen angerempelt. Was sollte das? Der Boden neigte sich eine Spur, sie verlor die Balance und machte noch einen weiteren ungeplanten Schritt, spürte, wie sich ihr Absatz in menschliches Fleisch bohrte, ihr Ellenbogen traf eine Rippe, dann erklang ein schmerzverzerrtes Aufheulen in ihrem Ohr.
    Das Geräusch kam so überraschend, dass sie aufsah. Sie blickte in ein Paar stark geschminkter Augen, aus dem Ärger und Schmerz sprachen.
    Shit! Fuck!
    Schnell löste sie den Blick und machte die letzten Schritte.
    Die Waffe lag schwer und stabil in ihrer Hand, fühlte sich gut an, endlich,
endlich
war auch die Konzentration da, ungeachtet des Lärms. Sie war ruhig und klar. Richtete die Tasche auf das tanzende Paar, zielte auf die Beine des Mannes, erster Schuss. Er war fast geräuschlos, der Rückstoß schwach. Der Mann sank auf die Knie, gab die Sicht auf die Frau frei. Sie hob die Tasche, zielte auf das Herz der Frau und drückte ab, zweiter Schuss.
    Sie ließ die Waffe los, die durchschossene Tasche baumelte wieder am Tragriemen. Sie richtete den Blick auf die Eichentür, acht Schritte bis zur Eichentür, der nächsten Station. Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs (jetzt kam der Schrei), sieben, acht, angekommen, ohne Schwierigkeiten zog sie die Tür auf. Lautlos schloss sie sich hinter ihr, vier Schritte zum Speiseaufzug, zwei Stockwerke nach unten, danach drei abschließende Schritte hinunter zur Warenannahme.
    Ihre Zielstrebigkeit ließ nach, der begehrenswerte Rausch löste sich auf.
    Noch nicht, verdammter Mist, befahl sie sich selbst. Jetzt wird es noch einmal schwierig. Lähmende Kälte schlug ihr entgegen, als sie in den südlichen Säulengang hinaustrat. Achtundneunzig glatte, kalte, beschissene Schritte bis zum Wasser, ein
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