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Nixenblut

Nixenblut

Titel: Nixenblut
Autoren: H Dunmore
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Tür schwingt weit auf und schon ist er in der Nacht verschwunden. Die Tür fällt krachend ins Schloss.
    »Geh ins Bett, Sapphy«, sagt Mum mit müder, leiser Stimme.
    Ich gehe ins Bett. In unserem Haus gibt es zwei Schlafzimmer. In einem schlafen Mum und Dad, im anderen ich.
Conor hat es am besten getroffen. Eine Leiter führt von meinem Schlafzimmer direkt zum Dachboden hinauf, wo er schläft. An einem Ende hat Dad ein Fenster in die Wand eingesetzt. Wenn Conor allein sein will, dann zieht er einfach die Leiter zu sich hoch. Dann kann ihn niemand mehr erreichen.

    Ich ziehe mich aus, denke schläfrig an das Mittsommernachtsfeuer und an den Streit zwischen Mum und Dad, bis ich alle Gedanken beiseite schiebe, ins Bett schlüpfe und mich in die Decke kuschele. Der Schlaf rollt heran wie die Dünung des Meeres.
    Noch ahne ich nichts.
    Ich ahne nicht, dass dies die letzte Nacht ist, in der Conor und ich, Mum und Dad vereint sind. Ich ahne nicht, dass die beiden Hälften unserer Familie auseinander fallen, während ich schlafe.
    Aber ich träume von der Meerfrau von Zennor. Ich träume, dass ich mit meinem Finger an der langen Kerbe entlangstreiche, die ein Messer in ihrem Körper hinterlassen hat. Ich versuche, sie wegzureiben, damit die Meerfrau wieder heil und unversehrt wird. Ich träume davon, dass sie ihre hölzernen Augen öffnet und mich anlächelt.

Zweites Kapitel

    S pät am nächsten Morgen erwache ich durch den Geruch von Essen. Dad ist in der Küche und brät Pilze in einer gusseisernen Pfanne. Er pfeift leise durch die Zähne. Mum knallt Messer in die Schublade.
    »Er ist erst um acht Uhr morgens nach Hause gekommen«, flüstert Conor mir zu.
    Die Stimmung in der Küche ist gereizt. Conor und ich ziehen uns mit einer Schale Haferflocken ins Wohnzimmer zurück. Während wir essen, beginnen sie wieder zu streiten. Ihre Stimmen schwellen an: »Bist du verrückt, Mathew, nachts mit dem Boot rauszufahren, nachdem du getrunken hast?«
    »Ich bin nicht mit dem Boot rausgefahren.«
    »Lüg mich nicht an. Ich rieche das Meer an dir. Schau nur, wie durchnässt deine Sachen sind. Es reicht dir wohl nicht, dein Leben zu riskieren, indem du im Dunkeln in den Klippen herumkletterst, nein, du musst auch noch das Boot nehmen. Ich habe die ganze Nacht kein Auge zugemacht. Hast du völlig den Verstand verloren?«
    Dad kontert mit derselben Schärfe: »Ich weiß genau, was ich tue. Willst du etwa für den Rest deines Lebens an Land bleiben, Jennie? Wenn du bloß einfach mitkommen würdest …«
    Seine Stimme bricht ab. Er ist genauso böse auf Mum wie
sie auf ihn. Aber warum? Dad weiß, dass Mum das Meer nicht ausstehen kann. Sie setzt sich nie in ein Boot und ausnahmsweise bin ich froh darüber. Ich fange an zu zittern, wenn ich mir vorstelle, dass beide im Dunkeln hinausfahren könnten – so weit, dass sie mich nicht hören würden, so laut ich auch riefe.
    »Du weißt genau, warum ich nicht mitkomme«, sagt Mum. »Ich habe allen Grund, mich vom Meer fern zu halten.« Ihre Stimme klingt bedeutungsschwer. Wir sind so vertraut mit Mums Abneigung gegen das Meer, dass wir nie nach dem Grund fragen, doch plötzlich möchte ich mehr wissen.
    »Warum fährt Mum eigentlich nie mit der Peggy Gordon ?«, flüstere ich Conor zu. Immer, absolut immer ist Dad es gewesen, der Conor und mich mit aufs Meer genommen hat, während Mum zu Hause blieb. Conor zuckt die Schultern, doch plötzlich sehe ich in seinem Gesicht, dass er mir etwas verheimlicht.
    »Na, sag schon, Conor! Bloß weil ich die Jüngste bin, will mir nie jemand was erzählen.«
    »Genau haben sie’s mir auch nicht gesagt.«
    »Aber du weißt etwas.«
    »Ich habe mal gehört, wie sie sich unterhalten haben«, räumt Conor widerwillig ein. »Mum hatte gesagt, dass sie am Sonntag einen Hasenrücken zubereiten wollte.«
    »Hase? Igitt! Das würde ich nicht essen.«
    »Das hat Dad auch gesagt. Er sagte, Hase essen bringt Unglück. Aber Mum war das egal. Sie meinte, sie wäre nicht abergläubisch. Darauf hat Dad gesagt, sie wäre die abergläubischste Person, die er jemals kennen gelernt hat. Und Mum sagte: ›Nur in einem Punkt, Mathew. Und ich habe einen guten Grund, das Meer zu fürchten.‹ «

    »Was meinte sie damit? Einen guten Grund?«
    »Ich habe Dad später danach gefragt. Ich sagte, sie hätten so laut gesprochen, dass ich ihr Gespräch unfreiwillig mit angehört habe. Erst wollte er mir nichts sagen, aber dann hat er es mir doch erzählt. Er sagte, Mum wäre mal
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