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Night World - Retter der Nacht

Titel: Night World - Retter der Nacht
Autoren: Lisa J. Smith
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ohne es wirklich zu sehen.
    Sie hatte Angst und er konnte ihr nicht helfen. Er war nie gut in belanglosem Small Talk gewesen. Es liegt nun mal nicht in meiner Natur, dachte er grimmig.
    Um jemanden trösten zu können, musste man mit sich und dieser Welt im Einklang sein. Und James hatte zu viel von der Welt gesehen, um noch Illusionen zu haben.
    Er konnte jedoch mit nackten Tatsachen umgehen. Ungeduldig schob er das Durcheinander auf seinem
Schreibtisch zur Seite, schaltete seinen Laptop ein und ging ins Internet.
    Innerhalb weniger Sekunden befand er sich auf der Startseite der Nationalen Gesellschaft für Krebsforschung. Als Erstes klickte er die Verknüpfung »Bauchspeicheldrüsenkrebs - Patient« an und fand Erklärungen über die Funktion der Bauchspeicheldrüse, verschiedene Stadien der Krankheit und Behandlungsmethoden. Nichts davon klang besonders schlimm.
    Dann klickte er »Bauchspeicheldrüsenkrebs - Arzt« an, die Rubrik, die wohl eigentlich für Ärzte gedacht sein sollte. Schon der erste Satz ließ ihn erstarren:
    »Der Krebs der Bauchspeicheldrüse ist nur selten heilbar.«
    Seine Augen überflogen die Zeilen: »Statistische Überlebenschancen - Metastasen - schlechtes Ansprechen auf Chemotherapie, radioaktive Bestrahlung und operative Eingriffe - starke Schmerzen …«
    Schmerzen. Poppy war tapfer, aber chronische Schmerzen würden jeden in die Knie zwingen. Besonders, wenn die Zukunftsaussichten so düster waren.
    Er überflog noch einmal den Anfang der Seite. Die Überlebensrate lag bei weniger als drei Prozent. Wenn der Krebs sich bereits ausgebreitet hatte, bei weniger als einem Prozent.
    Es musste doch noch mehr Informationen geben! James suchte weiter im Netz und stieß auf einige Artikel
aus Zeitungen und medizinischen Fachblättern. Sie waren noch schlimmer.
    »Die überwiegende Anzahl der Patienten stirbt, und zwar schnell - Bauchspeicheldrüsenkrebs ist inoperabel, breitet sich schnell aus und ist sehr schmerzhaft … Die Überlebensdauer, wenn dieser Krebs sich ausgebreitet hat, kann von drei Wochen bis zu drei Monaten betragen …«
    Von drei Wochen bis zu drei Monaten.
    James starrte auf den Bildschirm des Laptops. Seine Brust und seine Kehle waren wie zugeschnürt, sein Blick war verschwommen. Er versuchte, seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen, sich zu sagen, dass bisher nichts feststand. Poppy musste Untersuchungen über sich ergehen lassen, okay, aber das bedeutete noch nicht, dass sie tatsächlich Krebs hatte.
    Aber diese Worte hallten hohl in seinem Kopf wider. Er hatte schon seit einiger Zeit gewusst, dass mit Poppy etwas nicht stimmte. Er spürte, dass der Rhythmus ihres Körpers nicht mit sich im Einklang war; er konnte sehen, dass sie immer weniger schlief. Und die Schmerzen - er hatte stets gewusst, wenn der Schmerz sie wieder quälte. Er hatte sich nur nicht klargemacht, wie ernst die Lage war.
    Poppy weiß es auch, dachte er. Tief in ihrem Inneren weiß sie, dass etwas sehr Schlimmes geschieht, sonst hätte sie ihn nicht gebeten, darüber etwas herauszufinden.
Aber was erwartet sie von mir?, fragte er sich. Soll ich einfach in ihr Zimmer kommen und ihr ins Gesicht sagen, dass sie in ein paar Monaten sterben wird?
    Soll ich etwa dabeistehen und zusehen?
    Er zog die Lippen leicht von den Zähnen zurück. Es war kein nettes Lächeln, eher eine wilde Grimasse. In den letzten siebzehn Jahren hatte er schon oft den Tod gesehen. Er kannte die einzelnen Stadien des Sterbens, den Unterschied zwischen dem Moment, in dem die Atmung stoppte, und dem Moment, in dem das Gehirn sich abschaltete. Er hatte die geisterhafte Blässe einer Leiche gesehen - die Art, wie die Augäpfel ungefähr fünf Minuten nach Todeseintritt flach wurden. Das war eine Einzelheit, die nicht vielen vertraut war. Fünf Minuten, nachdem man gestorben war, wurden die Augen grau und trüb. Und dann begann der Körper zu schrumpfen. Man wurde kleiner.
    Poppy war jetzt schon so zierlich.
    Er hatte immer Angst gehabt, ihr weh zu tun. Sie sah so zerbrechlich aus, und wenn er nicht aufpasste, konnte er schon jemanden unabsichtlich verletzen, der viel stärker war als sie. Das war einer der Gründe, warum er einen gewissen Abstand zwischen ihnen gewahrt hatte.
    Einer der Gründe. Aber nicht der Hauptgrund.
    Den anderen Grund konnte er nicht in Worte fassen, nicht einmal sich selbst gegenüber. Er brachte ihn direkt an den Rand des Verbotenen und dazu, sich Regeln
zu widersetzen, die ihm von Geburt an eingetrichtert
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