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Niemand

Niemand

Titel: Niemand
Autoren: Nicole Rensmann
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verloren.«
    Sie hatte keine Angst vor Niemand, obwohl sie ihn nicht sah. Er hatte eine schöne Stimme und seine Hand hatte sich angenehm warm angefühlt. Ein Geist konnte er also nicht sein. Seit sie sechs war, versuchte Suse ihr weiszumachen, dass auf dem Dachboden eine Gespensterfamilie lebte. Als Kind hatte sie sich davor gefürchtet, doch sie war vierzehn, an so einen Quatsch glaubte sie nicht mehr.
    »Hast du den Gesang nicht gehört?«
    Nina schüttelte den Kopf. »Da waren zwei Stimmen, denen bin ich gefolgt. Aber dann waren sie mit einem Mal weg.«
    »Wenn das mein Vater erfährt!«
    Niemand musste aufgesprungen sein, direkt vor Nina trampelten unsichtbare Füße das Gras platt. Fasziniert beobachtete sie, wie sich mehr und mehr ein kreisrunder Abdruck bildete. Jeder Halm, der sich gegen den gewaltsamen Schlaf aufbäumte, wurde durch Niemands Gerenne niedergestampft.
    »Du bist kein Geist, oder?«
    Niemand seufzte. »Ich bin – Niemand.«
    »Ich muss Suse wiederfinden. Meine Mutter wird sauer sein und mir vorwerfen, ich wäre weggerannt, dabei war es Suse. Wie komme ich nur nach Hause?«
    »Nerv mich nicht! Ich muss nachdenken!« Für einige Atemzüge war es totenstill. Nina blickte mit aufgerissenen Augen in die Richtung, aus der Niemands Stimme so herrisch geklungen hatte.
    Dann sagte er leise: »Es tut mir leid. Ich wollte dich nicht anschreien. Das macht mein Vater immer mit mir, und ich hasse ihn dafür. Aber ich bin nicht wie mein Vater, das musst du mir glauben!« Er ging auf sie zu. Nina erkannte seine Schritte im Gras. »Komm, ich bring dich erst einmal von hier weg, damit du vor Überhaupt Niemand sicher bist. Der ist in der Nähe.«
    Nina sah sich erschrocken um. »Wer?«
    »Überhaupt Niemand ist mein Onkel, er petzt und lügt, weil er meinen Thron haben will.«
    Nina schüttelte den Kopf. »Ihr habt seltsame Namen.«
    Niemand nahm Nina bei der Hand. »Namen?«
      
    Gemeinsam eilten sie durch das hohe Gras, ohne zu bemerken, dass sie verfolgt wurden. Wer würde sich außer den Goldgelockten-Giganten-Greislingen anmaßen, dem Herrscher hinterherzuschleichen?
    Goldgelockte-Giganten-Greislinge gehörten zu den gefährlichsten Geschöpfen der gesamten Gegend. Ihre Gier war gigantisch, die Gefräßigkeit gammamäßig groß, ihr Gebaren nach einem guten Gusto wurde gern mit Gleichgesinnten gestopft – was grundsätzlich gänzlich ganzjährig geschah. Goldgelockte-Giganten-Greislinge gab es – Gerüchte geben es gern gund … kund – in großzügiger Gesamtheit. Gleichwohl ein Greisling genügte, so grausam war die Gier nach golden glitzernden Gegenständen. Geraume Geologenzeit gelüstete den Goldgelockten-Giganten-Greislingen nach dem großen, glühenden Gestirn. Und gleich wer, der Gefallen an dem goldenen Gestirn kundgab, der ein glückliches Gemüt, gelbgoldene Haare – so wie Nina –, ein goldiges Grinsen oder gar ein glänzendes Gesicht hatte, wurde von den Goldgelockten-Giganten-Greislingen in Gefangenschaft genommen, zum G-Punkt gebracht und gefoltert. Güte gab es grundsätzlich gar nie! Die größte der gelbgoldenen Glut sollte ihnen gehören.
    Sie galten als Gauner von gar grausigstem Gemüt, deren Gesellschaft unbedingt gemieden werden sollte. Wer ihnen gegenübertrat, Gründe galten nicht, sollte Gas geben, als sei Gevatter Tod geradewegs hinter ihm. Gleichwohl dieser gegenüber den Goldgelockten-Giganten-Greislingen gar nicht grausig genug war. Neben Gold galt das G als gigantisch grandios. Die Goldgelockten-Giganten-Greislinge giggelten gerne G-Wörter, wer das G vergaß, wurde getötet. Die Goldgelockten-Giganten-Greislinge gehörten zu den grausamsten, gefährlichsten, gefräßigsten, gierigsten, geizigsten, gruseligsten und gewissenlosesten Greislingen. Glücklicherweise gab es die Goldgelockten-Giganten-Greislinge im Niemandsland nicht mehr. Es sei denn, irgendwer hatte sie hereingelassen.
    Die dreisten Verfolger gehörten zu einer unangenehmen Sorte Zwerge, bei der einem das Trommelfell zu platzen drohte, wenn sie die Klappe zu weit öffneten. Sie logen und betrogen, sie stahlen, waren hinterhältig und bösartig und legten ihre Opfer lahm, indem sie laut kreischten; zumindest wurde das erzählt. Die Kreischzwerge lebten zurückgezogen, und nur selten kamen sie an die Oberfläche, um frische Luft zu schnappen oder Käfer zu jagen und Blätter oder Früchte zu sammeln, von denen sie sich ernährten. Diese Zwerge hielten den Heiligen Geist gefangen, der ihnen den Tag lang
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