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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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vorgestellt!«
    »Vielleicht ist es eine holländische Reisegruppe, wegen der orangefarbenen Jacken.«
    »Nein, das sind die Signaljacken von der Bergwacht. Da muss was passiert sein. – Hallo, Herr Nachbar, wissen Sie, was da vorn los ist? Oder gehts da immer so zu, an der Schneefernerscharte?«
    »Vorher haben sie einen hinuntergelassen. Der war aber nicht von der Bergwacht. Ich glaube, das war der Pfarrer.«
    »Warum der Pfarrer?«
    »Der hat so eine violette Stola getragen. Und dann hat er ein Fläschli in der Hand gehabt, das wird das Ölfläschli für die Letzte Ölung gwea xi.«
    »
gwea xi

    »Gewesen sein.«
    »Ach so, verstehe. Sie kommen aus der Schweiz.«
    »Aus Winterthur.«
    »Aber was tun Sie denn hier? Sie haben doch selber Berge.«
    »Die Schweiz ist klein, die Berge hat man schnell durch. Und hier erlebt man noch was – eine Letzte Berg-Ölung zum Beispiel.«
    »Was ist eigentlich, wenn der Pfarrer nicht schwindelfrei ist?«
    »Dann wird er das Letzte Öl so runterträufeln.«
    »Das gilt auch?«
    »Am Berg schon. Am Berg gilt alles.«
     
    Natürlich war dieser luftige Tatort vor der Öffentlichkeit nicht zu verbergen. Die Schaulustigen hatten den Hubschrauberlärm gehört, sie hatten die buntgekleideten Bergwachtler gesehen, die sich in die Wand abseilten, sie hatten die ameisenfleißigen Spurensicherer miterlebt, die mit Polizeihubschraubern auf dem Gletscherplateau landeten und in ihren schneeweißen Overalls herausquollen. Zu einer Invasion der Zugspitze fehlten eigentlich nur noch die unerschrockenen Fallschirmspringer der US Army und eine Militärkapelle, die
The Star-Spangled Banner
spielte, vielleicht noch Bruce Willis, der als braver Lieutenant Keith W. Sneider die Stars & Stripes auf dem Zugspitzkopf befestigte. Aber auch so war es spektakulär – das Ereignis hatte sich bis ins Tal herumgesprochen, und die Gondeln brachten im Halbstundentakt weitere Schaulustige herauf. Selten genug, so ein Real-Event hautnah miterleben zu können. Über den oder die, die da im Fels gefangen waren, war man allerdings auf Spekulationen angewiesen. Von zwei hängengebliebenen Extremsportlern war da die Rede, auch von einer Gruppe japanischer Kamikaze-Pauschaltouristen, die den Abstieg in Badelatschen gewagt hätten. Die Polizeiabsperrungen erlaubten kein Nähertreten. Was aber ganz sicher feststand, war, dass ein katholischer Geistlicher mit reich bestickter Stola und purpurnem Ölfläschchen hinuntergelassen worden war, vermutlich ein Priester mit höheren Weihen. Vielleicht sogar ein Bischof. Doch das Ölfläschchen war ein Funkgerät, und die reich bestickte liturgische Stola war der violette Baumwollschal Kommissar Jennerweins mit dem Aufdruck
Keine Macht den Drogen
. Diesen Schal hatte er bei der letzten Weihnachtsfeier der Mordkommission IV bei der Tombola gewonnen.
     
    Der Kommissar stützte sich vorsichtig an der Kante der Felsnische auf und besah sich zunächst die Innenwände der grausigen Grotte. An diesen war auf den ersten Blick nichts zu erkennen, was zu kriminologischen Spekulationen Anlass gab. Keine Schriften, keine Zeichen, keine Spuren. Der Leichnam selbst war ein hundertprozentiger Fall für die Gerichtsmedizin. Der Kommissar stieß sich leicht von der Wand ab und betrachtete das Gesamtbild. Der Tote war vollständig bekleidet, allerdings trug er keine Strümpfe und Schuhe. Die nackten mumifizierten Füße ragten dürr und schwärzlich aus der Hose hervor. Er trug einen Anorak mit Kapuze, unter dem halb aufgezogenen Reißverschluss konnte man einen dicken Pullover erkennen. Jennerwein überlegte, was ihm an dieser Kleidung seltsam vorkam. Er stieß sich noch etwas mehr von der Wand ab, er schwebte jetzt frei. Dann fiel es ihm auf. Der Tote war grau in grau gekleidet, und das lag nicht an witterungsbedingten Einflüssen, der das Gewand wochen-, vielleicht monatelang ausgesetzt war. Normalerweise, dachte Jennerwein, tragen die Bergsteiger doch knallbunte Klamotten, nicht einmal aus modischen Gründen, sondern um sich im Falle des Falles besser bemerkbar machen zu können. Dieser Tote trug kein Warngelb, kein Alarmrot, er trug Tarngrau. War da etwas Militärisches im Spiel? Jennerwein konnte auch kein Seil oder andere Bergausrüstungsgegenstände bei dem Toten erkennen. War er einer dieser waghalsigen Solo-Freeclimber gewesen, der ohne Kletterzeug und Sicherung hier liegengeblieben war? Oder war ihm alles hinuntergefallen in die Tiefe? Hatte er es hinuntergeworfen? Warum aber
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