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Niedertracht. Alpenkrimi

Niedertracht. Alpenkrimi

Titel: Niedertracht. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Flachlandkriminaler!«, unkte Ostler. »Aber es ist nicht mehr weit.«
     
    In seiner Eigenschaft als Polizeibergführer war Ostler sozusagen Fachvorgesetzter der beiden, er fühlte sich verantwortlich für deren Wohlergehen bei solch einer Tour, deshalb lief er voraus, gab den Schritt vor und blickte nur ab und zu zurück, um sie zu beobachten. Setzte ihnen die dünner werdende Höhenluft zu? Sprangen sie allzu kühn über Stock und Stein? Kündigten sich schon erste Anzeichen von Wadenkrämpfen an?
    »Frau Doktor, lassen Sie sich Zeit! Wollen Sie den Steinböcken Konkurrenz machen?«
    Frau Doktor hatte jetzt kein Lungenbläschen mehr frei zu einer frechen Entgegnung. Jennerwein lächelte schweratmend.
     
    Nach der Steigung kamen sie auf eine kleine Hochebene, auf ein holpriges Plateau mit dünnen Flechten, das nach ein paar Metern mit einem eisernen Geländer abschloss. Dahinter ahnte man es schon, das Nichts. Man roch es auch, und man hörte es, am Seufzen und Raunen der Winde, die allen Mut zusammennahmen, bevor sie sich hinabstürzten ins Ehrwalder Tal. Die gemeldete
leblose Person
, derentwegen sie heraufgefahren und dann eine halbe Stunde weitergegangen waren, musste hier unter dem Geländer in der Steilwand hängen.
    »Ist Hansjochen Becker mit seinen Spurensicherern noch da?«, fragte Jennerwein.
    »Nein«, entgegnete Ostler, »die haben ihre Apparaturen schon eingepackt und sind mit dem Hubschrauber davongeflogen.«
    »In welcher Höhe befinden wir uns hier?«, fragte Maria mit belegter Stimme. Jennerwein sah zu ihr hin, sie war blass. Die Höhenluft?
    »Wir befinden uns an der Schneefernerscharte, auf zweitausendsiebenhundertzehn Meter Höhe«, antwortete Ostler mit einem Anflug von Lokalstolz, und der Wind biss ihm immer wieder ein paar Silben aus den Wörtern heraus. »Der Weg hierher ist ein Dackelspaziergang, aber dort hinter dem Geländer geht es steil hinunter. So nah liegen die Extreme bei uns im Werdenfelser Land beieinander. Seniorenerholung und Hochgebirgskletterei, nur ein paar Meter voneinander entfernt.«
    Die beiden Männer näherten sich vorsichtig den begrenzenden Vierkanteisenstangen, die Psychologin blieb wie angewurzelt stehen, sie bekam einen gehetzten Blick und setzte sich auf einen Stein. Jennerwein und Ostler beugten sich über die eiserne Brüstung und blickten in den Abgrund.
    »Toller Ausblick, wie?«, sagte Ostler. Unter ihnen breitete sich die Urlandschaft aus wie ein Buch mit prächtiger, aber unleserlicher Schrift. Es war keine senkrecht abfallende Steilwand, die sich da auftat, aber die spitzwinklige Neigung, mit der es hinunterging ins Habsburgische, machte den Abgrund eigentlich noch deutlicher. Jennerwein schnipste ein Steinchen in die Tiefe, als kleinen Gruß an Sir Isaac Newton – den mit der Lockenperücke und der Gravitation. Wenn man den Blick hob, konnte man in der Ferne ein junigrünes Tal sehen, Felder sprenkelten die Landschaft, und dahinter türmten sich die österreichischen Alpen auf.
     
    »Ein gigantischer Ausblick«, sagte Jennerwein. »Da fällt mir eine Dozentin ein, die in einer Kriminaler-Fortbildung zum Thema Todesursachen etwas Interessantes gesagt hat.
Meine Damen und Herren, es gibt nur eine einzige Möglichkeit, den perfekten Mord zu begehen. Dazu müssen Sie Ihre Ehehälfte lediglich zu einer Bergtour überreden. Bitte nicht zu fest schubsen – wegen der Hämatome. Alle anderen Morde klären wir Kriminalisten über kurz oder lang auf.
Wahre Worte! Wir sollten sie uns immer vor Augen halten.«
    Er warf ein zweites Steinchen hinunter, diesmal nur so. Ostler drehte sich um und klopfte sich den Schmutz von der Hose.
    »Frau Doktor«, sagte er, »was ist mit Ihnen, gehts Ihnen nicht gut?«
    »Doch, natürlich, ich verschnaufe mich nur ein wenig«, sagte diese in einiger Entfernung. »Was ist eigentlich mit dieser Absperrung? Die ist doch wohl viel zu leicht zu überwinden. Ist hier denn noch nie etwas passiert?«
    Ostler zögerte ein bisschen, bevor er weitersprach. Jennerwein musste lächeln. Er bemerkte so ein Zögern sofort. Das waren diese Sekunden bei einem Verhör, bei denen der andere fieberhaft überlegt, ob er ein bestimmtes Detail ansprechen soll oder nicht. War da etwas Persönliches im Spiel? Hatte Polizeiobermeister Ostler ein Geheimnis?
    »Es gab in den Achtzigerjahren einmal Gerüchte um pubertierende Jugendliche«, fuhr dieser zögerlich fort. »Unten im Tal wurde erzählt, dass Liebespaare hier oben besondere Mutproben veranstaltet
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