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Niceville

Niceville

Titel: Niceville
Autoren: Carsten Stroud
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Wasser
gefülltes Loch, von dem niemand wusste, wie tief es war.
    Dieses Loch hieß Crater Sink.
    Sylvia war einmal mit Rainey dort gewesen. Es hatte ein
Picknickausflug sein sollen, aber die alten Fichten und Eichen waren voller
flüsternder, knarzender Geräusche gewesen und hatten sich, wie es schien, über
sie gebeugt, und das Wasser des Crater Sink war schwarz und still gewesen und
hatte infolge irgendeiner optischen Täuschung nicht das winzigste Stück des
blauen Himmels widergespiegelt.
    Sie waren nicht lange geblieben.
    Jetzt dachte sie wieder an Rainey, und mit einem Mal wurde ihr
bewusst, dass sie die ganze Zeit nicht aufgehört hatte, an ihn zu denken.
    Vier Minuten später hielt der erste Streifenwagen neben ihrem roten
Cayenne. Am Steuer saß Mavis Crossfire, eine hochgewachsene, kräftige,
erfahrene Polizistin, die wie alle guten Polizisten Humor und kühle Kompetenz
verströmte, unterlegt mit einer latenten Bedrohlichkeit.
    Mavis Crossfire kannte und mochte die Familie Teague – Garrison
Hills gehörte zu ihrem Revier. Sie beugte sich zum Fahrerfenster des Cayenne
und begriff ebenso schnell wie Father Casey, dass die Geschichte, die Sylvia
erzählte, alarmierend war. Es war eine Geschichte, die Mavis weit ernster nahm,
als irgendein Polizist in irgendeiner mittelgroßen amerikanischen Stadt sie zu
diesem frühen Zeitpunkt genommen hätte, was daran lag, dass in Niceville
fünfmal mehr Menschen verschwanden als im Landesdurchschnitt.
    Darum hörte Sergeant Mavis Crossfire sehr genau zu, als sie von
Rainey Teagues Verschwinden erfuhr, und darum ging sie nach etwa vier Minuten
an ihr Funkgerät und informierte den diensthabenden Captain, der wiederum die
Special Task Force in Belfair und ein Team des CID ,
der Kriminalpolizei von Cullen County, unter Leitung von Lieutenant Tyree
Sutter alarmierte.
    Zehn Minuten später hatten jeder Polizist in Niceville, jeder
Sheriff in den umliegenden kleineren Orten und sämtliche Staatspolizisten im
weiteren Umkreis einen digitalen Download mit Raineys Foto und Beschreibung
erhalten – das Sekretariat der Regiopolis School hatte von jedem Schüler ein
Digitalfoto –, und alle verfügbaren Leute waren mit dem Fall befasst. Es war
eine überaus lobenswerte Leistung, nicht schlechter als die der besten Polizei
des Landes und weit besser als die der meisten anderen. Motivation ist alles.
    Nicht einmal eine Stunde später trat ein Polizist namens Boots
Jackson, der von seiner Streife durch das am Fluss gelegene Viertel Patton’s
Hard ins Zentrum beordert worden war, in Alf Penningtons Antiquariat an der
North Gwinnett und stellte fest, dass dies der Ort war, wo Rainey Teague zum
letzten Mal gesehen worden war. Er tippte diese Meldung sogleich in den mit der
Zentrale verbundenen Kleincomputer ein.
    Inzwischen war die Suchmeldung an die Polizisten der Countys Cullen
und Belfair sowie an die State Patrol bis hinauf nach Gracie und Sallytown und
hinunter nach Cap City, der etwa achtzig Kilometer entfernten Hauptstadt des
Bundesstaates, weitergegeben worden.
    Tyree Sutter, genannt Tig, ein Schwarzer mit groben Gesichtszügen
und einer mehrfach gebrochenen Nase, so groß und massig, dass er sein eigenes
Schwerefeld erzeugte, saß an seinem Schreibtisch im Gebäude des CID in der Powder Ridge Road und sah Alf Penningtons Aussage auf dem Bildschirm. Er
druckte sie aus und übergab sie Detective Nick Kavanaugh, einem
zweiunddreißigjährigen ehemaligen Offizier der Special Forces. Nick war ein
Weißer, schlank, eins neunzig groß und hart wie Eichenholz. Er hatte blassgraue
Augen und schwarz schimmerndes Haar, das sich an den Schläfen weiß färbte, und
er stand in der Bürotür und sah Tig an wie ein Wolf, der sich in einer Schlinge
gefangen hat.
    Eine Minute darauf saß er am Steuer seines marineblauen Crown Vic
und fuhr mit eingeschalteten Blinklichtern, aber ohne Sirene, den Long Reach
Boulevard an der Biegung des Tulip im Stadtzentrum entlang und hielt knapp
zwanzig Minuten später vor Alf Penningtons Geschäft in der North Gwinnett 1148.
Es war 18 Uhr 17, und Rainey Teague war seit genau einer Stunde und vierzehn
Minuten als vermisst gemeldet.
    Alf Pennington war Ende sechzig und zaundürr. Er hatte einen
Altmännerbuckel, eine Glatze, scharfe dunkle Augen und heruntergezogene
Mundwinkel. Als Nick eintrat und zwischen den Bücherregalen hindurch auf ihn zukam,
sah er von seinem großen Schreibtisch auf. Sein säuerlicher Gesichtsausdruck
verstärkte sich.
    Alf war
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