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Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin

Titel: Nibelungen 06 - Die Hexenkönigin
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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wehrte sich erbittert gegen drei Gestalten, die ihn brutal in den Uferschlamm drückten. Der zweite Mann wehrte sich nicht, ja, er bewegte sich nicht einmal. Etwas an seiner sonderbaren Lage, die Arme und Beine achtlos abgewinkelt, verriet, daß er tot war.
    Die Männer und Frauen, die um die beiden am Boden herumstanden, schienen keineswegs Räuber zu sein, wie Kriemhild befürchtet hatte. Mit Ausnahme einiger Knüppel und Dreschflegel waren sie unbewaffnet. Kriemhild hielt sie für Bauern, einfache Dorfbewohner, die aus irgendeinem Grunde Blut geleckt hatten. Vielleicht hatte der Junge sie bestohlen oder sich an einem der hübscheren Mädchen vergriffen.
    Kriemhild war schon Zeugin so mancher Hinrichtung geworden – im Burghof zu Worms, beinahe gleich vor ihrem Fenster –, doch eine so sonderbare wie diese hier hatte sie noch nie gesehen.
    Der strampelnde Junge wurde mit Hilfe zahlreicher Schläge und Tritte auf den Bauch gerollt und festgehalten. Erstaunt sah Kriemhild, daß der Junge einen Buckel hatte; deutlich hob er sich am linken Schulterblatt unter seinem Lederwams ab.
    Zwei andere Männer zerrten jetzt den Toten heran, banden ihn mit Seilen auf den Körper des Jungen, Rücken an Rücken. Als ein Mann mit einer Fackel sich zu dem verschnürten Bündel herabbeugte und höhnisch auf den Wehrlosen einbrüllte, erkannte Kriemhild im zuckenden Feuerschein, daß der Tote mit schwarzen Flecken übersät war. Entsetzen verschlug ihr den Atem. Allmächtiger, diese Menschen berührten ein Pestopfer, als ginge keinerlei Gefahr von ihm aus! Sie mußten wahnsinnig sein – oder bereits angesteckt!
    Im selben Moment begriff sie, daß sie von hier verschwinden mußte. Doch als sie nach unten blickte, entdeckte sie voller Grausen, daß sich die Gruppe der Frauen einige Schritte zum Waldrand hin zurückgezogen hatte. Die aufgebrachten Weiber standen nun genau unter Kriemhilds Baum. Wenn eine von ihnen nach oben blickte, war es um Kriemhild geschehen. Schlimmer noch: Es war unmöglich geworden, unbemerkt hinabzuklettern. Sie mußte in den Ästen ausharren, bis alles vorbei war.
    Der schreiende Junge und der Tote wurden in einen Kahn geworfen. Einige Männer ruderten ihn geschwind zur Mitte des Flusses. Schwankend stellten sich zwei von ihnen auf, packten den Toten an Armen und Beinen und hoben damit zugleich auch den Jungen von den Planken. Zweimal holten sie Schwung, dann schleuderten sie das armselige Bündel über die Reling ins Wasser. Sogleich verstummten die Schreie des Jünglings; die Leiche schwamm oben, er aber trieb unter Wasser. Jetzt erst begriff Kriemhild, wie perfide diese Art des Tötens tatsächlich war. Es war fraglich, ob der Junge es überhaupt schaffen konnte, sich mitsamt dem Toten im Wasser zu drehen, um dadurch selbst an die Oberfläche zu gelangen. Fraglicher noch war, wie lange er sich so würde halten können, denn die Strömung spielte ihr eigenes Spiel mit ihm. Kriemhild hatte Mitleid mit ihm, ganz gleich, was er verbrochen hatte. Doch sie wußte auch, daß sie nicht das geringste unternehmen konnte, um ihn zu retten.
    Hätte man sie in diesem Augenblick gefragt, so hätte sie wohl bestätigt, daß es kaum noch schlimmer hätte kommen können. Doch, freilich, auch das erwies sich als frommer Wunsch.
    Denn plötzlich ertönte ein Knacken, und die Astgabel, auf der sie saß, neigte sich nach unten – ganz langsam, unmerklich fast, aber doch unaufhaltsam. In blinder Panik griff Kriemhild nach einem anderen Ast, irgendwo über ihr. Sie hatte Glück… etwa drei Herzschläge lang. Dann brach die Gabel vollends ab, und obgleich Kriemhild mit beiden Händen an dem oberen Ast baumelte, polterte das geborstene Holz in die Gruppe der Frauen am Fuß der Eiche. Zwei, die getroffen wurden, schrien vor Schmerz und Überraschung auf, während die Blicke der anderen nach oben zuckten.
    Kriemhild schenkte ihnen ein unschuldiges Lächeln – dann trafen sie schon die ersten Steine, die die empörten Weiber nach ihr schleuderten. Einige der Männer am Ufer wurden aufmerksam, und bald schon stand die keifende Menge unterhalb der Eiche, traktierte Kriemhild mit Wurfgeschossen und schrie nach ihrem Blut.
    Ein tückischer Wurf traf sie am Kopf, ein anderer am rechten Arm. Ihre Finger gaben nach, dann fiel sie. Stürzte mitten in die brüllende Meute.
    Jeder Ansatz von Gegenwehr, jedes Wort der Vermittlung, sogar jeder Schmerzensschrei ging im Tumult der Rasenden unter. Hiebe und Tritte prasselten auf Kriemhild ein,
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