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Nibelungen 02 - Das Drachenlied

Titel: Nibelungen 02 - Das Drachenlied
Autoren: Alexander (Kai Meyer) Nix
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gab.
    Ein Krachen ertönte. Die Schanktür flog auf.
    Obbo schrak zusammen. Jetzt schon? So schnell? Das war unerhört, unbegreiflich, ungeheuer. So flink vom Hohlen Berg herab, über den Landsteg zum Ufer und durch den Wald zum Wolfswinkel ? In so kurzer Zeit?
    Er eilte beflissen zur Küchentür, um hinaus in den Schankraum zu blicken. Schon erwartete er, den Horthüter vor sich zu sehen, eine Augenbraue hochgerutscht, mißmutig wie immer, die übliche Frage auf den dürren Lippen: »Wo sind meine Eier-im-Schmalz? Wo sind sie, Obbo ?«
    Wie groß war sein Aufatmen, als es nicht Alberich war, der zur Tür hereinkam. Vor Erleichterung setzte gar sein Herz aus, und Obbo griff sich seufzend an die Brust.
    »Laß mich raten«, krächzte eine alte Stimme, »die Eier sind noch nicht fertig.«
    »Woher –«
    »Ich sah das Signal, und ich sehe dein Gesicht.«
    Eine kleine alte Frau, so dürr wie ein verbrannter Holzscheit und nicht weniger runzlig, war hereingekommen. Sie warf ihr Bündel auf einen Tisch und schüttelte das graue Haar, das glatt bis zu ihren Hüften fiel. Ihr Hexengesicht, einst als das schönste der Wälder gerühmt, entspannte sich, als sie erschöpft auf den Hocker sank. Der Lederbesatz ihrer Waldläuferkleidung knirschte leise.
    Mütterchen Mitternacht hieb die hutzelige Faust auf den Tisch. »Ein Bier, Obbo! Und ein paar Eier, wenn sie dann fertig sind.«
    Weinerlich ließ Obbo die Schultern hängen. »Du hast recht, Mütterchen. Sie sind nicht fertig. Und sie werden es nicht sein, wenn er kommt.«
    »O je«, machte sie und gähnte. »Dann bring mir schon das Bier.«
    »Eine Geschichte als Bezahlung?« fragte er ergeben.
    »Eine Geschichte als Bezahlung«, bestätigte sie, »wie üblich.«
    Denn Geschichten waren das bevorzugte Zahlungsmittel im Wolfswinkel, waren es immer gewesen und würden es auch in Zukunft sein. Vorausgesetzt, es waren gute Geschichten, denen es zu lauschen lohnte.
    Mütterchen Mitternacht wohnte seit nunmehr dreizehn Jahren in Obbos Wirtshaus, seit sie das Räuberdasein aufgegeben hatte (abgesehen von einem kleinen Diebstahl hier und da). Einstmals war sie die Anführerin der gefürchtetsten Räuberbande diesseits und jenseits des Flusses gewesen, ein Überweib, das es mit jedem Mann aufnahm, mit dem Schwert und mit den Fäusten. Noch dazu galt sie als das schönste Frauenzimmer im ganzen Land, und es hieß, sie habe ebenso viele Männerherzen gebrochen wie mit der Klinge durchbohrt.
    Nun aber war sie uralt, und nur das wallende Grauhaar kündete noch von ihrem einstigen Zauber. Wie viele Winter sie wirklich gesehen hatte, wußte keiner. Man munkelte, jeder, der es in Erfahrung gebracht hatte, habe sein Wissen mit dem Leben bezahlt. Als sie sich zur Ruhe setzte, ließ sie sich im Wolfswinkel nieder, und kaum ein Tag verging, an dem sie die Zeche nicht mit einem Garn voller Wunder und Heldentaten beglich – zu Obbos Leidwesen, denn klingende Münze hatte er bitter nötig. Aber er respektierte die Gesetze seiner Ahnen. Der Wolfswinkel stand jedem offen, der um eine prachtvolle Geschichte wußte, und die Abende am Kaminfeuer, bei Pfeifenrauch und starkem Bier waren längst schon legendär.
    Obbo brachte einen schweren Holzkrug mit Schaumkrone an Mütterchens Tisch. Sie reichte ihm im Gegenzug ihr Schwert, eine Klinge so groß, daß Obbo sie kaum zu heben vermochte. Wie die Alte damit focht, war ihm ein Rätsel. Eines von vielen, die Mütterchen Mitternacht umgaben.
    »Schließ es weg«, sagte sie, weil es ihr gefiel, auch Befehle für Selbstverständliches zu erteilen. Es war seit jeher Brauch in der Schänke, alle Waffen vom Wirt einschließen zu lassen.
    Obbo brachte das Schwert zur eisernen Waffentruhe neben der Küchentür und legte es hinein. Der Deckel fiel mit einem Scheppern.
    »Was die Geschichte angeht –«, begann Mütterchen Mitternacht, doch Obbo winkte ab.
    »Einen Augenblick.«
    Er eilte wieder in die Küche und befühlte den Stein. Warm, aber noch weit von wirklicher Hitze entfernt. Wenn es so weiterging, würde das Schmalz ranzig werden, bevor es heiß war. Obbo atmete tief durch und begann, sich damit abzufinden, daß Alberichs Zorn verheerend sein würde, ein wahres Zornesgewitter.
    Er überlegte, ob er die wertvollsten Gegenstände im Schankraum, den alten Wandteppich und einige fein bemalte Krüge, forträumen sollte. Ob es nutzte, wenn Alberichs Bier gezapft für ihn bereitstand? Nein, er würde nur über die niedrige Schaumkrone fluchen.
    Zurück in der
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