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Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)

Titel: Neun Zehntel (Deutsch) (German Edition)
Autoren: Meira Pentermann
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es endlich geschafft, Leonard, ermahnte er sich. Dennoch, nach Jahren vergeblicher Mühen, die ihn nicht mal ansatzweise in die Nähe der Vergangenheit gebracht hatten, war dies nun ein weiterer Sprung in einen Ozean voller Möglichkeiten. Ich brauche nur zwei Minuten, höchstens drei. Nur genug Zeit, um mich zu orientieren, die Situation einzuschätzen und auf die Bremse zu treten.
    Ein Stiefel war am Bremspedal und der andere am Gaspedal befestigt, da Leonard vermutete, dass er so schneller reagieren konnte. Unzählige Male übte er mit beiden Füßen gleichzeitig an den Pedalen zu fahren und verursachte dabei sogar beinahe noch einen Unfall in der realen Welt. Irgendwann während der letzten fünf Jahre hatte er das Autofahren völlig aufgegeben, ließ sich sein Essen nur noch liefern, kaufte über das Internet ein und benutzte seine diversen Freundinnen als Chauffeurinnen. Mittlerweile wusste er ganz genau, wie er die Pedale der Maschine zu bedienen hatte und er würde keinen Fehler machen. Er war bereit.
    Er ging in den Wandschrank, schloss die Tür und setzte sich hin. Auf dem kleinen Bildschirm leuchtete eine Zahlenfolge, sie stellte Datum, Zeit, Ort und Dauer der Zeitreise dar. Leonard überprüfte die zuvor eingegebenen Zahlen erneut. Sobald er diese drei Minuten in der Vergangenheit verbracht hätte, wäre sein fataler Fehler korrigiert, das Gleichgewicht des Universums wieder hergestellt und Leonard Tramer könnte endlich in der Gegenwart leben. Sobald seine Mission abgeschlossen wäre, würde er den Wandschrank verriegeln und in die reale Welt zurückkehren. Dort würde er sich auf die Suche nach dem Leben begeben, das er für einunddreißig Jahre auf Eis gelegt hatte.
    Leonards Füße schlüpften automatisch in die Stiefel, so, wie sie es schon vorher unzählige Male getan hatten. Er zog den Helm über seinen Kopf und klappte das Visier herunter, schließlich steckte er die Hände in die Handschuhe. Er starrte das Bild an, das ihm der virtuelle Bildschirm zeigte – das verstaubte und schmutzige Armaturenbrett seines roten Ford Pick–ups, den er vor Jahren während der College Zeit in Colorado gefahren hatte. Durch die Windschutzscheibe des Fahrzeuges war eine graue Wand zu sehen, so, als ob das Auto vor einer Straßensperre aus Beton parkte. Wenn die Zeitmaschine richtig kalibriert war, sollte die Betonwand verschwinden und Leonard würde zum 9. Mai zurückkehren; zu dem alles entscheidenden Tag, an dem er auf der Interstate 225 um genau 19:46 Uhr in Richtung Norden fuhr – die tief stehende Sonne würde in den Seitenspiegeln aufblitzen. Bei allen anderen Versuchen, in die Vergangenheit zu reisen, wollte die Betonwand einfach nicht verschwinden. Dieses Mal wusste er, dass es anders sein würde. Dieses Mal, so hoffte er, würde es ihm gelingen. Er zog die linke Hand kurz aus dem Handschuh, betätigte den Hauptschalter und hielt die Luft an.
    Die Betonwand verschwand.
    Leonard spürte, wie das Lenkrad ruckelte, und griff fester zu. Er drückte auf das Gaspedal und beschleunigte etwas, um sich der Geschwindigkeit der anderen Fahrzeuge anzupassen. Der linke Seitenspiegel des Pick–ups reflektierte die Sonne und Leonard wurde kurzzeitig von einem Lichtstrahl geblendet. Er schirmte mit der Hand die Seite seines Gesichtes ab, sah in den Rückspiegel und suchte die Straße nach der blauen Limousine ab, dem Chrysler der Familie Richardson.
    Da .
    Leonard sah, wie das Auto näher kam und links vorbei fuhr. Gleich würde der Chrysler seinen Ford überholen und der Pick–up würde sich anschließend genau im toten Winkel der Limousine befinden. Leonard würde sich nach vorne beugen, um einen Schokoriegel vom Boden aufzuheben, dabei mit dem Fuß das Gaspedal etwas stärker durchtreten und noch rechtzeitig aufsehen, um zu bemerken, dass Mrs. Richardson sich in seine Spur einordnete. Die Limousine würde in die Vorderseite von Leonards Auto krachen, eine 360–Grad–Drehung machen, über eine beschädigte Leitplanke geschleudert werden, dabei kopfüber auf einem kleinen Grünstreifen landen und damit einen der Fahrzeuginsassen in den Tod reißen. Leonard würde scharf bremsen und auf dem Seitenstreifen anhalten.
    Er blickte in den virtuellen Rückspiegel. Mrs. Richardson sah über ihre Schulter und redete mit ihrem Sohn. Sie hat nicht wirklich aufgepasst. Die Scham von über drei Jahrzenten ließ etwas nach. Du musst jetzt nur noch bremsen.
    Leonard bremste langsam, verärgerte dabei leicht den Fahrer hinter
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