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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Autoren: Ralf Isau
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Felsen des Tunnelgewölbes in Schutt verwandelt.
    Wenn er mir einmal helfen konnte, warum nicht auch ein zweites Mal?
    Wie ein Schwert packte Yonathan den Stab dicht unter dem Knauf, richtete sich auf und hielt dem Erdfresser die blau schimmernde Spitze entgegen.
    Die Wirkung war verblüffend. Das Tier wich erschrocken einige Schritte zurück. Doch dann warf die Bestie den Kopf voller Wut in den Nacken und trompetete, dass es von den Wänden hallte.
    Aber Yonathan ließ sich nicht entmutigen. Er wollte nur eines: überleben. Er nutzte die Konfusion des Gegners und erklomm mit wenigen Schritten einen Hügel mit Unrat, wodurch er dicht unter die Höhlendecke gelangte. Einen Augenblick lang kämpfte er auf dem glitschigen Untergrund um sein Gleichgewicht. Doch dann holte er aus und schmetterte den Stab mit aller Kraft gegen die Felsen über seinem Kopf.
    Unter lautem Getöse und zuckenden, blauen Blitzen verwandelte sich das Gewölbe in Geröll.
    Nur durch einen waghalsigen Sprung nach hinten konnte sich Yonathan vor den herabfallenden Trümmern in Sicherheit bringen. Gleißendes Licht flutete in den Raum – Sonnenlicht! Einen Augenblick kämpften seine Augen gegen die Helligkeit an. Er war schon wieder auf den Beinen, als der sich langsam setzende Staub den Blick auf den Widersacher freigab.
    Der Erdfresser stand auf den Hinterbeinen und brüllte laut. Yonathans Sinne und Muskeln waren bis in die letzte Faser angespannt. Er konnte die Gefühle seines Gegners spüren. Die Überlegenheit war daraus verschwunden. Wut und Furcht machten das gewaltige Höhlentier unvorsichtig. Als es – hoch aufgerichtet und mit entblößten Fangzähnen – in den Kegel des gleißenden Sonnenlichts trat, wurden seine empfindlichen Augen geblendet. Diesen kurzen Moment nutzte Yonathan. Er sprang vorwärts, auf die Bestie zu, und trieb ihr die Spitze seines Stabes bis zum Knauf in die ungepanzerte Brust. Keuchend stolperte er zurück.
    Einen Augenblick lang geschah nichts. Hatte er das Herz des Erdfressers verfehlt?
    Dann zerriss ein markerschütterndes Brüllen die Stille. Yonathan zuckte zusammen, ein blau gleißender Blitz erfüllte den Raum. Der Erdfresser stürzte vornüber.
    Langsam verblasste der übernatürliche Glanz des Stabes und Yonathan öffnete blinzelnd die Augen. Während er schwer atmend auf dem Boden kauerte, stiegen Rauchwolken von dem toten Körper auf und er fiel in sich zusammen.
    Inmitten der spärlichen Überreste des eben noch so Furcht erregenden Jägers lag unversehrt der Stab. Wie leicht die Spitze seiner Waffe in den Körper des Untiers eingedrungen war!
    Vorsichtig, ja ehrfürchtig, hob Yonathan den Stecken vom Boden auf. Jetzt konnte er ihn bei Licht betrachten: ein Zeugnis großer Kunstfertigkeit, wie er verblüfft feststellte. Der Stab war aus einem Holz gefertigt, das einen warmen roten Farbton besaß. Der Knauf an seinem Ende glänzte wie pures Gold. Vier Gesichter waren zu erkennen: das eines Menschen, eines Adlers, eines Löwen und eines Stiers. An der Unterseite besaß der Knauf eine runde Fassung, die den Schaft des eigentlichen Stabes umschloss. Er bestand aus einem geraden, aber in sich gedrehten Holz. Diesen Schraubenwindungen folgend waren goldene Buchstaben in das Holz eingelegt. Navran Yaschmon hatte Yonathan gelehrt diese alten Schriftzeichen zu lesen, denen man im täglichen Leben auf Neschan nur noch selten begegnete.
    Yonathan stellte fest, dass es sich um die Namen der Richter von Neschan handelte. Er war sehr erstaunt, dass sich sieben Namen auf dem Stab befanden. Bisher hatte es nur sechs Richter auf Neschan gegeben; der letzte, der den Namen Goel trug, lebte fernab von dem Ort Kitvar, wo Yonathan mit dem alten Navran wohnte. Der siebte Name lautete Geschan. Wahrscheinlich war dies ein Wort aus der Sprache der Schöpfung, vermutete Yonathan. Er beherrschte nur ein paar Brocken dieser alten Sprache. Der Sinn des Wortes war ihm jedoch unbekannt.
    Der Stab war von makelloser Schönheit! Erstaunlicherweise hatte ihm weder die Zeit in der Erde noch der Kampf gegen den Erdfresser etwas anhaben können. Das Kunstwerk sah aus wie neu. Wie konnten Gold und Holz derart widerstandsfähig sein? Und dazu war er wesentlich leichter, als er aussah. Obwohl er ihm bis an die Schulter reichte, wog er kaum mehr als ein Schilfrohr.
    Das alles war sehr geheimnisvoll, aber Yonathan grübelte nicht länger, sondern trat den Heimweg an. Navran Yaschmon war weise, sicher konnte er ihm mehr über den Stab
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