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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Autoren: Ralf Isau
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versuchte er von seiner Rührung abzulenken: »Am besten, wir klettern neben dem Loch hoch und schwingen uns dann hinein. Direkt darunter könnte es ziemlich nass für uns werden.«
    Din-Mikkith legte den Arm um seinen zweihundert Jahre jüngeren Freund und drückte ihn sanft in die Richtung des Tores. Mit einem Blick auf die verschüttete Goldwand sagte er: »Ich werde noch mit hochklettern. Sicherheitshalber.«
    Yonathan dankte ihm für diese Geste, die einen kurzen Aufschub des unvermeidlichen Abschieds brachte.
    Yomi ließ es sich nicht nehmen, als Erster die Felswand zu erklimmen. Sein Atem dampfte in der Kälte, aber trotz klammer Finger erreichte er mühelos einen kleinen, herausstehenden Felsen schräg oberhalb des Loches. Sich an diesem mit beiden Händen fest haltend schwang er zuerst das rechte Bein in die Felsenöffnung und zog – sobald er sich von seinem festen Stand überzeugt hatte – das linke nach.
    Das Tor im Süden stellte sich in Wahrheit als eine unregelmäßig geformte Höhlenöffnung dar, in der Yomi nicht einmal aufrecht stehen konnte. Doch in den vergangenen Jahrtausenden hatte es gezeigt – ob seiner verborgenen Lage oder seiner schweren Zugänglichkeit wegen, ließ sich schwer sagen –, dass es von aufmerksamen Torwächtern behütet wurde. Noch nie zuvor war es irgendjemandem gelungen, dieses unscheinbare Tor zu durchschreiten. Jedenfalls hatte nie jemand von einem solchen Versuch berichten können.
    Und wie in einer letzten großen Prüfung schrie Yomi, kaumdass er in der Öffnung des Tores stand, erschrocken auf. Ein schwarzer, geflügelter Schatten, aufgeschreckt von seinem Eindringen, stürzte ihm aus der Dunkelheit entgegen. »Zirah!«, entfuhr ihm ein Schreckensruf. Gleichzeitig warf er sich auf den noch warmen Felsengrund – ins Wasser. Der Vogel flatterte über ihn hinweg in Freie.
    Dort, im Lichte des sich neigenden Tages, konnte man das Tier deutlicher erkennen: ein taubengroßer Vogel mit Papageienschnabel und einem roten Federschopf auf dem Kopf.
    »Rotschopf!«, riefen Din-Mikkith und Yonathan wie aus einem Munde.
    »Er muss sich in der Höhle versteckt haben, als das Beben losbrach«, vermutete Yonathan erleichtert.
    Girith landete etwas ungeschickt auf Din-Mikkiths Schulter. »Din-Mikkith, liebes Din-Mikkith«, krähte er fröhlich.
    »Es hat sich am Flügel verletzt«, stellte der Behmisch nach kurzer Untersuchung seines kleinen, treuen Vogels fest. »Und ziemlich verschreckt ist es auch. Aber es scheint nicht so schlimm zu sein.« Din-Mikkith grinste. »Es wird wieder in Ordnung kommen!«
    »Puh!«, machte Yonathan seiner Erleichterung Luft. »Da bin ich aber froh!« Sich nach oben wendend rief er: »Yomi! Du kannst herauskommen. Die Gefahr ist vorbei.«
    Der triefend nasse Seemann erschien in der Öffnung. »Dieser Rotschopf hat mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt.«
    Girith schaute zu Yomi empor und gurrte: »Din-Mikkith, liebes Din-Mikkith.«
    »Er könnte ruhig mal was anderes sagen«, seufzte Yomi.
    »Lasst es gut sein«, mahnte Din-Mikkith. »Wir müssen uns beeilen.«
    Kurze Zeit später hatten sie alle den Eingang zum Tor erklommen.
    »Lasst uns noch ein Stück hineingehen«, sagte Din-Mikkith. »Ich möchte ganz sicher sein, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«
    Dies festzustellen, nahm nicht sehr viel Zeit in Anspruch. Das Tor im Süden war nichts weiter als eine schmale, schwach ansteigende Röhre. Die drei Gefährten wateten durch einen knietiefen Strom von Wasser, das erstaunlicherweise weniger kalt war, als sie vermutet hatten. Din-Mikkith erklärte, dass die warme Luft des von der Sonne aufgeheizten Gesteins in dem Gang emporstieg und so dafür sorgte, dass das Wasser bei Tage fließen konnte.
    Nach höchstens dreihundert Fuß weitete sich der Tunnel zu einer runden Felsenkammer von etwa achtzig Fuß Durchmesser. Inmitten dieses Raumes rauschte eine Wand von Wasser nieder.
    »Das ist das Scheideweg«, brüllte Din-Mikkith, um den Lärm des Wasserfalls zu übertönen.
    Die Augen der Höhlenwanderer hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Es war noch nicht völlig düster an diesem Scheideweg, wie Din-Mikkith ihn nannte.
    Nach Umrundung der Felsenkammer stellten die Freunde fest, was der Grund für das Dämmerlicht war. Auf der anderen Seite der Wasserwand zeigte sich wieder Tageslicht, als länglicher Spalt in nicht allzu großer Ferne. Nun war der Pfad wieder abfallend. Auch hier floss ein Bach. Die Felsenkammer schied die im Berg
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