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Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok

Titel: Neschan 01 - Die Träume des Jonathan Jabbok
Autoren: Ralf Isau
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treuen Vogels. Sein Herz krampfte sich zusammen. »Es tut mir sehr Leid um den Rotschopf«, brachte er mühsam hervor.
    »Jetzt muss ich mir jemand anderes suchen, das mich immer ›Liebes Din-Mikkith‹ nennt.«
    Die Äußerung seines grünen Freundes weckte einen Gedanken in Yonathan, den er aber wegen der sich überstürzenden Ereignisse immer vor sich hergeschoben hatte: Was würde aus der kleinen Gemeinschaft werden, wenn sie das Tor im Süden, den Ausgang des Verborgenen Land, erst gefunden hätten? »Aber«, begann er stotternd, »möchtest du denn nicht mit uns…?«
    »Nein, Kleines«, unterbrach Din-Mikkith ihn mit kratzender Stimme. »Ich kann nicht mit euch gehen. Mein Platz ist hier, im Verborgenen Land.«
    »Aber du hast uns so viel geholfen. Ich kann mir gar nicht vorstellen, ohne dich…«
    »Yonathan, mein Kleines, dort draußen ist ein anderes Welt. Das Volk der Behmische existiert dort nur noch in Legenden. Niemand kennt es mehr. Man würde mich für ein Ungeheuer halten. Man würde mich so lange jagen, wie man die Drachen gejagt hatte. Heute gibt es keine Drachen mehr, Yonathan! Möchtest du, dass es mir genauso geht?«
    Yonathan schaute zu Boden. Tiefe Traurigkeit überkam ihn. »Nein. Das möchte ich natürlich nicht.«
    »Außerdem würdet ihr mit mir mehr auffallen als euch lieb wäre.«
    »Er hat Recht, Yonathan«, pflichtete Yomi Din-Mikkith bei.
    »Wenn wir den Südkamm hinter uns haben, sind wir wieder in der bekannten Welt. Von da an müssen wir uns alleine durchschlagen.«
    All diese Argumente waren vernünftig, aber sie machten Yonathan das Herz schwer. »Wer weiß, ob wir überhaupt noch das Tor erreichen können, jetzt, wo doch der Strom…« Er wollte hinter sich auf die verflüssigten Eismassen deuten und bemerkte plötzlich, dass das donnernde Rauschen des Wassers verklungen war. Anstelle des Stromes schlängelten sich nur noch vereinzelte kleine Rinnsale über den Boden. Der Strom war verschwunden und mit ihm Eis und Schnee, die noch vor kurzem den Pfad zum Tor im Süden bedeckt hatten.
    »Das Wasser ist abgeflossen«, stellte Din-Mikkith kurz fest.
    »Aber dann…« Yonathan blickte besorgt zum Himmel empor. »Dann müssen wir uns beeilen. Die Sonne wird bald untergehen und das Tor wird zufrieren.«
    »Das stimmt«, pflichtete der Behmisch ihm bei. »Lasst uns laufen!«
    Mit weiten Schritten eilten die Gefährten – als hätten sie in den vergangenen Stunden nicht schon genug Mühsal erlitten! – in die Schlucht, erneut dem gewaltigen Bergkessel entgegen. Die Kluft, die zu ihrem Ziel führte, war nun tiefer, da kein vereister Grund mehr den Boden bedeckte. Der Bach in der Mitte des Pfades schien angeschwollen zu sein. Schon bald erkannten sie den Grund hierfür.
    »Der Dampf ist weg«, stellte Yomi fest. »Es fließt Wasser aus dem Tor!«
    »Aber die Sonne, sie scheint doch noch«, wunderte sich Yonathan.
    »Da, seht doch!« Din-Mikkith deutete auf die nördliche Innenwand des Kessels.
    Durch das Erdbeben hatten sich Eis und Geröll von dem Kamm des Felsenrunds gelöst. Die einstmals weiße Krone war fast völlig verschwunden. Doch nicht aller Schutt des Erdrutsches hatte sich mit der Flutwelle seinen Weg ins Tal gesucht. Ein Teil war an der Flanke hängen geblieben.
    »Die goldene Wand ist verdeckt«, staunte Yonathan.
    Yomi nickte. »Deshalb kann die Sonne das Wasser nicht mehr zum Dampfen bringen.«
    »Ja, aber es wird nicht lange so bleiben«, gab Din-Mikkith zu bedenken. »Schaut da… und da! Überall rutscht und rieselt es. Das schmelzende Eis wäscht die Wand wieder sauber. Bald wird es das Tor wieder verschließen.«
    »Wie viel Zeit haben wir noch?«, fragte Yonathan besorgt.
    »Ich kann es nicht sagen. Alles kann jeden Moment abrutschen. Allerdings wird die Sonne gleich hinter den Bergen verschwinden, sodass es vielleicht auch erst morgen geschieht.« Din-Mikkith wandte den Blick von der verschütteten Südwand ab und schaute Yonathan wehmütig in die Augen. »Wie auch immer, das Gestein rund um das Tor wird bald abgekühlt sein, sodass das Wasser zu gefrieren beginnt. Ihr müsst euch eilen.«
    Yonathan fühlte einen Kloß im Hals. »Kannst du wirklich nicht mit uns kommen, Din? Wenigstens ein kleines Stück.«
    »Wie soll ich dann wieder zurückkehren, Kleines? Das Tor im Süden wird sich bald wieder schließen.«
    Yonathan nickte.
    Yomi, der in der rauen Umgebung von Seeleuten aufgewachsen war, fiel es schwerer seine Gefühle zu zeigen. Mit bebender Stimme
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