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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs
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dem, was wohl eine Lüge war, die neuerlich angespannte Situation wieder zu entschärfen versuchte. »Das war kein schöner Anblick«, behauptete sie kopfschüttelnd und zuckte betont lässig mit den Schultern. »Überhaupt sollten wir uns nicht zu sehr den Kopf über den Verbleib der Toten zerbrechen, sondern uns eher darum kümmern, hier herauszukommen, ehe wir auch zu ihnen gehören.«
    »Zuerst suchen wir den Schatz.« Carl nahm Ellen den Scheinwerfer wieder ab und deutete mit der Linken nach rechts, ohne die Waffe, die er noch immer auf mich gerichtet hielt, einen einzigen Millimeter von ihrem imaginären Zielpunkt zwischen meinen Augenbrauen zu bewegen.
    »Vorwärts!«
    »Erinnerst du dich noch an die Friedenstaube auf deinem Jeep?«, fragte ich, während ich mich umdrehte und Seite an Seite mit Judith durch den dunklen Flur, der an den unteren Treppenabsatz angrenzte, tastete. Warum konnte ich eigentlich nicht einfach meine verfluchte Klappe halten? Ich sollte lieber geduldig parieren und im Stillen einen günstigen Augenblick abwarten, in dem ich dem Wirt die Waffe entreißen konnte. Er wollte nicht schießen, das hatte ich gemerkt. Aber ich war sicher, dass er es trotzdem tun würde, wenn er sich zu sehr in die Enge getrieben fühlte.
    »Da siehst du mal, wie sehr einen schlechte Gesellschaft verändern kann«, gab Carl schnaubend zurück. Ich biss mir auf die Zunge, um nicht mit einem treffend angebrachten Spruch zu kontern, ihn damit weiter zu provozieren und uns alle einer unnötigen Gefahr auszuliefern.
    Im unsteten Licht der Taschenlampe tasteten wir uns durch die zunehmend staubigen, dunklen Gänge. Der Geruch von Betonstaub nahm schnell zu, sodass ich annahm, dass wir uns aus einer anderen Richtung dem Teil des Kellers näherten, den wir zum Einsturz gebracht hatten – keine beruhigende Vorstellung, wie ich fand. Niemand von uns konnte wissen, wie groß der Schaden war, den wir angerichtet hatten, und wie groß die Gefahr, dass dem ersten Einsturz weitere folgen würden, nachdem wir der Statik des ohnehin schon baufälligen Labyrinths so erheblich zugesetzt und den Keller möglicherweise in ein brüchiges unterirdisches Gewölbe verwandelt hatten, das auf den kleinsten Windhauch hin in sich zusammenfallen konnte. Unsicher folgte ich mit dem Blick dem über die Wände huschenden Lichtkegel; die Mauern hier unten bestanden zu meiner Linken aus Bruchstein und zu meiner Rechten aus Gussbeton, und als ich den hellen Putz der gewölbten Decke des Ganges, in den wir auf Carls ruppiges Kommando hin eingebogen waren, nach Rissen und Spalten absuchte, erspähte ich zu meinem Erschrecken mehr davon, als mir recht sein konnte.
    Unter den Decken verliefen dicke Kabelstränge mit stellenweise porösen schwarzen Gummiummantelungen, wie jene, auf die wir in dem vom Hauptgebäude aus zugänglichen Teil des unterirdischen Labyrinths gestoßen waren.
    Dazwischen gab es fingerdicke, grün oxidierte Kupferrohre, die keinen besonders Vertrauen erweckenden Eindruck vermittelten. Ich hoffte, dass das, was auch immer jemals durch sie hindurch geflossen war, sich nun nicht mehr darin befand und nicht an einer undichten Stelle austreten konnte, sodass wir alle vielleicht längst irgendwelche chemischen Substanzen eingeatmet hatten, unter deren Folgen wir bis an unser Lebensende leiden würden. Aber vielleicht würden wir ja überhaupt nicht mehr in den Genuss von Lungenkrebs oder hässlichen Hautgeschwüren kommen, sondern noch in dieser Nacht einen qualvollen Erstickungstod erleiden. Außerdem nahm ich nun unzweifelhaft das wahr, von dem ich mir am oberen Absatz der Treppe eingeredet hatte, dass ich es mir nur einbildete: Es roch nach Fäulnis, leicht nur, aber ganz eindeutig. Die verbrauchte, abgestandene Luft in dem alten unterirdischen Gemäuer, vermischt mit dem immer dichteren, in der Nase beißenden Zementstaub, erschwerte mir das Atmen und verursachte einen pelzigen Belag auf meiner Zunge und einen kratzigen Rachen.
    Ich hatte Durst. Außerdem war mir das Zittern der Knie, das eingesetzt hatte, als wir uns der Kellertreppe genähert hatten, die ganze Zeit über geblieben. Es steigerte sich im Gegenteil langsam auf ein Niveau, das es mir erschwerte, in einer geraden Linie zu gehen und mir die Furcht nicht anmerken zu lassen, dass uns in der nächsten Sekunde im wortwörtlichen Sinne schlichtweg die Decke auf den Kopf fallen könnte. Aber wenn ich ganz tief in mich hineinlauschte, konnte ich hören, dass da noch etwas
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