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Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs

Titel: Nemesis 05 - Die Stunde des Wolfs
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Richtung. »Beweg dich! Rechts runter, aber schnell!«
    »Verdammt, was sollte ich denn machen?«, fuhr ich Carl entnervt an und deutete verärgert nacheinander auf die Treppenstufen und den Handscheinwerfer. »Dir die Stufen unter den Füßen wegziehen? Oder mit der Taschenlampe auf dich einschlagen und in Kauf nehmen, dass du Ellen erschießt, bevor ich dich ein einziges Mal damit getroffen habe? Glaub mir, ich werde dich umbringen, sobald sich eine passende Gelegenheit dazu bietet, aber im Augenblick bist du bewaffnet! Also lass sie los und sieh dir das da an, okay? Niemand würde auf die Idee kommen, sich dir zu widersetzen, so lange du in der Lage bist, jeden von uns mit einer Kugel niederzustrecken.«
    Volltreffer, stellte ich mit einem Anflug von Stolz über das psychologische Geschick, das ich heute zu meinem eigenen Erstaunen bereits zum zweiten Mal bewies, fest, noch bevor ich zu Ende gesprochen hatte. Der Ärger in Carls Zügen blieb, aber die Unsicherheit, die ihn gerade so unberechenbar und gefährlich gemacht hatte, verschwand.
    Ich wusste sofort, dass ich ausgesprochen hatte, was er hatte hören müssen, damit er nicht das Gefühl bekam, die totale Kontrolle über die Situation zu verlieren, die anscheinend ungemein wichtig für ihn war. Ich sah, wie sich sein Griff um Ellens feuerrote Haarbüschel lockerte und wie sich die Muskeln in dem Arm, mit dem er die Waffe auf mich gerichtet hielt, entspannten.
    »Heb die Lampe auf«, forderte er Ellen auf und stieß sie ein Stück von sich weg. »Heb sie auf und leuchte die Treppe ab. Niemand anderes bewegt sich von der Stelle, verstanden?«
    »Verstanden«, flüsterte Ellen tonlos, ein wenig hechelnd und außerdem so leise, dass ich das Wort eher von ihren Lippen ablas, als dass ich es wirklich hörte. Sie trat mit deutlich zitternden Knien und in leicht schwankendem Gang an mir vorbei und bückte sich nach der Taschenlampe, wobei sie auf ihren Pfennigabsätzen so sehr wankte, dass ich befürchtete, sie könnte vornüberkippen. Nur mit Mühe konnte ich den Reflex unterdrücken, nach ihr zu greifen, um sie festzuhalten, was sicherlich einen erneuten Ausbruch des Wirtes zur Folge gehabt hätte. Dann leuchtete sie mit dem Scheinwerfer langsam und systematisch von unten nach oben und von rechts nach links die hölzernen Stufen ab.
    Das Blut, das ich auf der untersten Stufe entdeckt hatte, war nicht das einzige, das auf der Treppe klebte. In fast gleichmäßigen Abständen hafteten auf jeder zweiten Stufe kleine, noch nicht eingetrocknete und demnach offenbar frische Flecken in fast identischer Anordnung, ganz so, als hätte derjenige, der sie hinterlassen hatte, die Treppe seiner Verletzung zum Trotz in sehr gleichmäßigem Tempo zurückgelegt.
    »Bist du sicher, dass Maria tot ist?«, fragte ich leise, ohne einen speziellen Adressaten für meine Frage mit einem Blick bestimmt zu haben. »Ich habe sie nicht auf dem Burghof liegen sehen.«
    »Hast du nicht gesehen, was passiert ist?« Carl schnaubte verächtlich. »Sie hat sich eine Kugel durch den Kopf geschossen, und als ob ihr das noch nicht genug gewesen wäre, hat sie sich auch noch so auf die Zinnen gestellt, dass sie danach zwanzig Meter tief auf einen kopfsteingepflasterten Burghof gefallen ist. Sie ist mausetot.«
    Natürlich war sie das, bestätigte ich im Stillen. Ich hatte es gesehen, und das vielleicht deutlicher als alle anderen hier. Aber irgendwie musste das Blut hierher gekommen sein, und außerdem hoffte ich insgeheim auf einen Vorwand, diesen Keller, der mich nach wie vor aus irgendeinem Grunde abschreckte, sogar regelrecht beängstigte, schnell wieder verlassen zu können. Und vielleicht bot sich draußen auf dem weitläufigen Hof eine Gelegenheit, Carl zu überwältigen, vielleicht sogar mehr ...
    »Dann können wir ja einen kurzen Blick auf den Burghof werfen«, beharrte ich deshalb, verfluchte mich gedanklich aber bereits dafür, noch bevor der Unwillen in Carls Blick sich neuerlich in Unsicherheit wandelte, weil er den Hinterhalt, den ich tatsächlich ganz beiläufig plante, ahnte.
    Keine Frage: Ich war befähigt, ein gewisses psychologisches Geschick an den Tag zu legen. Doch das setzte voraus, dass ich von meinem Kopf Gebrauch machte, und ich glaube, ich habe schon des Öfteren erwähnt, dass ich mich manchmal einfach wie ein gottverdammter Vollidiot verhalte.
    »Ich habe sie gesehen, Frank. Erspar dir das.« Ich bedachte Judith mit einem zweifelnden, aber auch dankbaren Blick, da sie mit
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