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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unnatürlicher Schnelligkeit immer weiter verfiel, und dennoch – tief in diesem grässlichen Etwas, das einmal ein Mensch gewesen war, regte sich immer noch ein gepeinigter Schatten des früheren Lebens. Jetzt, wo Abu Dun ihm das Genick gebrochen hatte, war der Körper endgültig zur Reglosigkeit verdammt, doch Andrej würde nie vergessen, wie ihm der abgeschlagene Schädel eines anderen untoten Kriegers verzweifelte Blicke zugeworfen hatte, und das kalte Grauen, als er begriff, dass da noch immer etwas in diesem wandelnden Leichnam war – etwas, das litt und lautlos gellend nach einer Erlösung schrie, die vielleicht niemals kommen würde.
    Abu Dun sagte etwas, das er nicht verstand, doch Andrej klammerte sich beinahe verzweifelt an den reinen Klang der Worte, nur, um diesen letzten, entsetzlichen Gedanken nicht zu Ende denken und sich vielleicht etwas eingestehen zu müssen, das er tief in sich schon längst wusste und nur nicht wahrhaben wollte.
    »Andrej?«, fragte Abu Dun noch einmal, und jetzt bemerkte Andrej auch die Furcht, die sich hinter Abu Duns vermeintlicher Gelassenheit verbarg. »Ist alles in Ordnung?«
    Nichts war in Ordnung, seit sie dieses verfluchte Schiff betreten und erfahren hatten, wer sein Kapitän wirklich war, das wusste Abu Dun genauso gut wie er. Trotzdem nickte Andrej, doch er kam nicht dazu, zu antworten, denn Don Corleanis, der seine Fassung offenbar zurückerlangt hatte, polterte: »Was soll daran in Ordnung sein, wenn du anständige Menschen zwingst, sich so etwas anzusehen, du Barbar?«
    »Kennst du diesen Mann?«, fragte Abu Dun ungerührt, indem er sich in der Hocke umdrehte und den vermeintlichen Toten noch ein Stück weiter aus seinem nassen Grab zog. Die morschen Bretter knirschten bedrohlich unter dem Gewicht des Nubiers, und der Kopf des Toten rollte haltlos hin und her, als wollte er sich über die grobe Behandlung beschweren. Andrej hörte, wie der fette Schmuggler in seinem Rücken erneut darum kämpfen musste, seine letzte Mahlzeit bei sich zu behalten.
    »Kennen?«, würgte Corleanis, kam aber trotzdem noch ein Stück näher und beugte sich widerstrebend vor. Trotz des schlechten Lichtes sah Andrej, wie blass er geworden war. »Bist du von Sinnen, du gefühlloser Heidenhund? Diesen armen Kerl würde nicht einmal mehr seine eigene Mutter wiedererkennen!«
    Was vermutlich auch für Corleanis’ Mutter galt, dachte Andrej, und auch ohne, dass man ihn vorher ein paar Tage unter Wasser drückte. Laut sagte er: »Sieh genau hin. Es ist wichtig.«
    Don Corleanis schenkte ihm zwar noch einen giftigen Blick, sparte sich aber jeden Protest und raffte all seinen Mut zusammen, um den Toten genauer anzusehen. »Das ist …« Er schluckte, rang hörbar nach Luft, und seine Augen weiteten sich. »Heilige Jungfrau Maria, das ist Stefano!«
    »Du kennst ihn«, vergewisserte sich Abu Dun.
    »Sehr gut sogar«, antwortete Corleanis. »Aber was … wie ist denn das möglich? Ich habe noch vor drei Tagen mit ihm gesprochen, und da war er … das … das ist Hexerei! Der Teufel selbst hat seine Hand im Spiel!«
    Bei den letzten Worten drehte er sich halb zu Hasan um und warf ihm einen Beistand heischenden Blick zu, den dieser aber geflissentlich ignorierte.
    »Ich wünschte, es wäre so einfach«, seufzte Andrej, vorsichtshalber wieder in einer Sprache, von der er ziemlich sicher war, dass Corleanis sie nicht verstand. Wieder ins Italienische zurückfallend, fügte er hinzu. »Und du bist ganz sicher?«
    Corleanis warf Hasan einen weiteren, fast flehenden Blick zu und wandte sich dann aufgebracht wieder an Andrej, als er endlich einsah, dass er keinerlei Hilfe zu erwarten hatte. »Warum zwingst du mich, diesen schrecklichen Anblick zu ertragen, wenn du die Antwort nicht hören willst? Das ist Stefano, ich bin ganz sicher! Und du wirst mir jetzt sagen, was für ein Teufelswerk das ist!«
    »Das werde ich«, versicherte Andrej, »sobald ich es selbst weiß.«
    »Lüg mich nicht an!«, fauchte Corleanis. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Das ist Hexerei!« Er bekreuzigte sich. Hasans einzige Reaktion bestand darin, Ayla die Hand auf die Schulter zu legen.
    »Hexerei«, wiederholte Abu Dun nachdenklich und deutete mit dem Kopf auf Andrej. »Genau aus diesem Grund nenne ich ihn auch immer Hexenmeister, weißt du? Nicht nur, um ihn zu ärgern, auch wenn ich zugeben muss, dass es Spaß macht.« Kopfschüttelnd hob er seine künstliche Hand. Etwas Widerliches und Zähes tropfte von den
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