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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition)
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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zog, und sein Fleisch kaum minder. Weißer Knochen blitzte an vielen Stellen durch sein verrottetes Gesicht, und er war sowohl seiner Haare als auch der meisten Zähne verlustig gegangen. Eines der Augen war zu grauer Blindheit geliert, wo das andere sein sollte, gähnte ein zerfranster Krater voller wimmelnder Maden und Würmer. Der komplette linke Arm fehlte und war ganz eindeutig aus
gerissen
worden und nicht abgeschnitten, und die rechte Hand war ein aufgedunsener, schwammiger Klumpen mit nur noch drei Fingern … was sie nicht daran hinderte, damit blind nach Andrejs Stiefel zu tasten und eine schlammige Spur aus grünblauer Fäulnis auf dem zerschrammten Leder zu hinterlassen.
    Angeekelt wich Andrej zurück, wobei er sich an der niedrigen Decke den Kopf stieß. Abu Dun bereitete dem grässlichen Schauspiel ein Ende, indem er wuchtig mit dem Fuß auf die Hand des Toten stampfte. Angesichts seiner gewaltigen Größe und seines noch viel gewaltigeren Gewichts hätte man das Geräusch von zerbrechenden Knochen erwartet, doch Andrej hörte stattdessen einen widerwärtigen Laut, der an das Zerplatzen einer faulen Frucht erinnerte, und registrierte einen Schwall von so intensivem Verwesungsgeruch, dass sein Magen rebellierte. Offensichtlich nicht nur seiner, denn zwei von Corleanis’ Männern hatten es plötzlich sehr eilig, den Laderaum zu verlassen, und direkt hinter ihm erklang ein Keuchen und dann ein Würgen, doch zu seiner Erleichterung aber nicht mehr. Jetzt, wo der größte Teil der Fracht gelöscht war, erwies sich der Laderaum der
Pestmond
als überraschend geräumig, aber nun drängten sich außer Ali und seinen Assassinen auch nahezu die gesamte Schmugglermannschaft darin, die in Sizilien an Bord gekommen war. Sich in einem so überfüllten Raum zu übergeben war nicht nur unangenehm, sondern konnte leicht zu einer noch deutlich unangenehmeren Kettenreaktion führen.
    »Ich habe dir gesagt, dass es kein schöner Anblick ist«, sagte Abu Dun, der sich keine Mühe gab, sich seine Schadenfreude nicht anmerken zu lassen. »Also tu uns allen einen Gefallen und behalte dein Frühstück wenigstens noch so lange bei dir, bis du wieder an Deck bist.«
    Die Worte galten Corleanis, der es irgendwie geschafft hatte, noch vor Andrej und ihm hier herunterzukommen, nun aber in zwei Schritten Abstand stehengeblieben war und hörbar nach Luft rang.
    »Was tust du da, du … du widerwärtiger Barbar?«, stammelte Corleanis. »Das ist …«
    »Genug jetzt«, mischte sich Ali ein. »Alle raus hier, die hier nichts verloren haben. Du bleibst.« Zugleich legte er Corleanis die Hand auf die Schulter und wies mit der anderen auf den Mann direkt neben dem Schmuggler. »Und du auch.«
    Den meisten Männern musste man nicht zweimal befehlen, den Laderaum zu verlassen, denn auch wenn nur wenige nahe genug gekommen waren, um tatsächlich einen Blick auf den Toten zu werfen, war doch allein der Gestank und das Wissen um seine Anwesenheit schon fast mehr, als selbst die Schlimmes gewöhnten Seeleute ertrugen. Für einen Moment entstand an der steilen Treppe Unruhe und Gerangel, und Abu Dun nutzte die Gelegenheit, um den Fuß von der Hand des Toten zu nehmen, was einen neuerlichen Schwall von Fäulnisgeruchs zur Folge hatte. Don Corleanis japste qualvoll. Abu Dun ließ sich neben der immer noch halb im Wasser liegenden Leiche in die Hocke sinken und drehte den Toten um. Sie mit seinen breiten Schultern vor neugierigen Blicken abschirmend, nutzte er den Moment, ihr unbemerkt von Corleanis und den anderen das Genick zu brechen. Andrej sah, wie die Füße im schlammigen Wasser der Bilge noch ein letztes Mal zuckten. Am Grunde der leeren Augenhöhlen wimmelten die Würmer. Er war sicher, sich gut genug in der Gewalt zu haben, um keinerlei Reaktion auf seinem Gesicht zuzulassen, beglückwünschte sich zugleich aber auch selbst dazu, an diesem Morgen nichts gegessen zu haben. Sein Magen hob sich, und er spürte ein eisiges Entsetzen.
    Es war nicht einmal so sehr der grauenhafte Zustand des Toten. In den ungezählten Jahren, in denen sie nun über die Schlachtfelder und Mordgruben der Welt zogen, hatte er schon weit Schlimmeres gesehen und sich schon vor Jahrhunderten von der Illusion verabschiedet, sich alles vorstellen zu können, was Menschen einander antun. Dennoch wünschte er sich, er müsste nicht sehen, was diesem bedauernswerten Mann angetan worden war.
    Der Körper war schon seit Tagen tot, nur noch faulendes Fleisch, das mit
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