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Nebenwirkungen

Nebenwirkungen

Titel: Nebenwirkungen
Autoren: Woody Allen
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entsann sich aber nie, welche. Die Freiheit des Menschen hieß für Nadelmann, sich der Absurdität des Lebens bewußt zu sein. "Gott schweigt", sagte er gern, "wenn wir jetzt bloß die Menschen dazu brächten, die Klappe zu halten."
    Das wahre Sein, so führte Nadelmann aus, sei nur an Wochenenden zu erlangen, und selbst dann gehe es nicht ohne Leihwagen. Nadelmann zufolge ist der Mensch kein "Ding" abseits von der Natur, sondern "in die Natur verflochten", und er kann seine eigene Existenz nicht wahrnehmen, ohne erst mal so zu tun, als ginge ihn alles gar nichts an, um dann schnell in die gegenüberliegende Zimmerecke zu rennen, in der Hoffnung, rasch einen Blick auf sich zu werfen.
    Sein Ausdruck für den Lauf des Lebens war "Angstzeit", was darauf hindeutete, daß der Mensch ein Geschöpf sei, das dazu verdammt ist, in der "Zeit" zu existieren, obwohl da nun wirklich nichts los ist. Es war Nadelmanns intellektuelle Redlichkeit, die ihn davon überzeugte, daß er nicht existiere, daß seine Freunde nicht existierten und daß das einzig Wirkliche die sechs Millionen Mark seien, die er der Bank schulde. Von da an faszinierte ihn die nationalsozialistische Philosophie der Macht, oder wie Nadelmann es ausdrückte: "Ich habe eben Augen, die ein Braunhemd betört." Als sich herausstellte, daß der Nationalsozialismus genau die Bedrohung war, der Nadelmann Widerstand leistete, floh er aus Berlin. Als Busch verkleidet und sich mit jeweils drei raschen Schritten nur seitwärts bewegend, überschritt er unbemerkt die Grenze.
    Wohin Nadelmann in Europa auch kam, überall waren Studenten und Intellektuelle voller Ehrfurcht vor seinem Ruf erpicht darauf, ihm zu helfen. Auf der Flucht fand er die Zeit, sein Werk "Die Zeit, das Sein und die Wirklichkeit - Eine systematische Neubestimmung des Nichts" und die ergötzliche, leichtere Abhandlung "Wo man am besten ißt, während man sich verborgen hält", zu veröffentlichen. Chaim Weizmann und Martin Buber veranstalteten Geld- und Unterschriftensammlungen, um Nadelmann die Möglichkeit zu verschaffen, in die Vereinigten Staaten zu emigrieren, aber ausgerechnet zu der Zeit war das Hotel, das er sich ausgesucht hatte, besetzt. Als die deutschen Soldaten nur Minuten von seinem Versteck in Prag entfernt waren, entschloß sich Nadelmann endlich doch, nach Amerika zu gehen, aber da ereignete sich eine Szene auf dem Flughafen, weil sein Gepäck zuviel wog. Albert Einstein, der mit demselben Flugzeug fliegen wollte, erklärte ihm, wenn er lediglich die Schuhspanner aus seinen Schuhen nähme, könne er alles mitnehmen. Die beiden korrespondierten danach häufig. Einstein schrieb ihm einmal: "Ihr Werk und mein Werk sind sich sehr ähnlich, auch wenn ich immer noch nicht ganz genau weiß, was Ihr Werk ist."
    Als Nadelmann schließlich in Amerika war, stand er selten außerhalb öffentlicher Diskussionen. Er veröffentlichte sein berühmtes Buch "Das Nichtvorhandensein: Was tut man, wenn es einen plötzlich überfällt". Ebenso das klassische sprachphilosophische Werk "Semantische Formen unwesentlichen Wirkens", das zu dem Kinohit "Sie flogen bei Nacht" verarbeitet wurde.
    Bezeichnenderweise bat man ihn, sich wegen seiner Beziehungen zur Kommunistischen Partei von Harvard zurückzuziehen. Er war der Meinung, nur in einem System ohne jede ökonomische Ungerechtigkeit könne es wahre Freiheit geben, und führte als Modellgesellschaft den Ameisenstaat an. Er konnte Ameisen stundenlang zusehen und grübelte immer wieder gedankenverloren: "Sie leben wirklich harmonisch. Wenn bloß ihre Frauen hübscher wären, hätten sie es geschafft." Als Nadelmann vor den Ausschuß für unamerikanische Umtriebe zitiert wurde, nannte er interessanterweise Namen und rechtfertigte das seinen Freunden gegenüber mit seiner philosophischen Maxime: "Politische Handlungen haben keine moralischen Auswirkungen, sondern wesen außerhalb des Reichs des wahren Seins." Für diesmal wurde die akademische Gemeinschaft zur Rechenschaft gezogen, und erst Wochen später beschloß die Fakultät in Princeton, Nadelmann zu teeren und zu federn. Nadelmann benutzte übrigens dasselbe Argument auch zur Rechtfertigung seines Begriffs der freien Liebe, aber keine von zwei jungen Schülerinnen wollte es ihm abkaufen, und die Sechzehnjährige drohte, ihn zu verpfeifen.
    Nadelmanns Leidenschaft war es, Atombombenversuche zu stoppen, und so flog er nach Los Alamos, wo er und ein paar Stundenten sich weigerten, sich vom Gelände einer
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