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Nebel ueber Oxford

Nebel ueber Oxford

Titel: Nebel ueber Oxford
Autoren: Veronica Stallwood
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Lärm abhob. Ein Spruchband mit einer nachlässig hingekritzelten Botschaft wurde vor den Fenstern des Labors geschwenkt. Conor lehnte sich wieder über die Brüstung und las laut vor: »In Erinnerung an Henry: gefoltert, geblendet, getötet.«
    »Wer zum Teufel ist Henry?«, fragte Greg. Sein kanadischer Akzent klang deutlicher durch als sonst.
    »Ein Makakenäffchen«, antwortete Lucy. »Ein Wildtier, das man für Experimente benutzte. Erinnert ihr euch nicht an den Aufruhr, als die Geschichte in allen Skandalblättern veröffentlicht wurde?«
    »Vergiss den blöden Affen«, platzte Greg heraus. »Diese Leute da unten sollte man umgehend hinter Schloss und Riegel bringen. Mit welchem Recht dürfen die uns bedrohen? Wieso gestattet man ihnen, unsere Arbeit zu stören?«
    »Schon mal was von Demonstrationsfreiheit gehört?«, wagte Kerri sich vor. Als die anderen sie anblickten, errötete sie bis über beide Ohren. »Die Leute da unten haben das Recht, sich frei zu äußern – auch wenn dir nicht passt, was sie sagen. Redefreiheit ist gesetzlich …« Ihre Stimme erstarb.
    »Für dich als Praktikantin spielt es schließlich auch keine Rolle. Du bist nur noch ein paar Wochen bei uns, ehe du wieder zur Uni zurückkehrst. Für uns aber steht unser Job und damit unsere Zukunft auf dem Spiel«, erwiderte Greg mit finsterem Gesicht.
    Die fünf auf dem Dach steckten die Köpfe eng zusammen, um sich trotz des Lärms im Hintergrund verständigen zu können, doch die erzwungene Nähe verstärkte ihre gegenseitigen Ressentiments.
    »Kerri hat das Recht, ihre Ansichten frei zu äußern«, begann Sam und wollte gerade Noam Chomsky zitieren, als Greg ihm das Wort abschnitt.
    »Klar, jeder von uns darf eine eigene Ansicht haben. Ich glaube, keiner von uns hier ist gegen das Wohlergehen der Tiere. Lucy ist Vegetarierin, ich esse nur Fleisch von Bio-Höfen, und Blakes Lebensgefährtin Marianne ist Veganerin. Aber dafür interessieren sich die Leute da unten nicht. Sie wollen nur Krawall. Sie sind Psychopathen, die sich zufällig dieses Jahr den Tierschutz auserkoren haben, um Terror zu machen. Meiner Ansicht nach gehören sie eingesperrt. Und wenn es das nächste Mal eine Demo gibt, die Tierversuche befürwortet, laufe ich mit und schwenke ein Fähnchen, okay?«
    »Ob nun für oder gegen Tierversuche: Ich halte jede Demo für reine Zeitverschwendung«, schimpfte Conor und fuhr sich mit seinen nikotingelben Fingern nervös durch das fettige Haar. Kerri sah es und zuckte zusammen.
    »Was hast du?«, fuhr er sie angriffslustig an.
    »Nichts«, sagte sie.
    Conor trat ein paar Schritte beiseite.
    »Ihr könnt ja gerne weiterdebattieren und eure Zeit verschwenden. Mir ist es gleich, ob die da unten nur Spinner sind oder Terroristen. Und wenn sie anfangen, irgendwas hier heraufzuwerfen, werde ich mich schon zu wehren wissen.« Er begann auf dem Dach nach geeigneten Wurfgeschossen zu suchen.
    »Mach bloß keinen Mist!«, rief Greg hinter ihm her. »Wenn du das tust, wirst du in null Komma nichts verhaftet. Und wenn du jemanden triffst, blüht dir eine Anklage wegen Körperverletzung.«
    »Dazu müssten sie mich erst einmal kriegen«, murrte Conor, gab aber seine Suche widerwillig auf. »Jedenfalls bleibe ich nicht hier oben, und wenn ihr ein bisschen Grips im Kopf hättet, würdet ihr mitkommen. Kerri?«
    »Ich bleibe bei Sam«, erklärte das Mädchen.
    Conor zuckte die Schultern und verschwand durch die weiße Tür, von der die Farbe abblätterte, ins Treppenhaus. Die Zurückbleibenden hörten, wie seine Schritte auf der Treppe verhallten, und wandten sich wieder dem Geschehen auf der Straße zu.
    Wortfetzen drangen megafonverstärkt zu ihnen nach oben.
    »Alle … schuldig!«
    »Mörder!«
    »Strafe!«
    Plötzlich sagte Greg: »Hey, ist das da drüben nicht Conor?« Er zeigte auf eine schmale Gestalt, die sich am Rand des Demonstrationszuges vorbei in Richtung des Parks drängte und nur langsam vorwärtskam. »Ist der Kerl noch ganz dicht? Wo will er hin?«
    »Das könnte tatsächlich Con sein«, meinte Lucy mit zusammengekniffenen Augen. »Fettiges Haar hat er jedenfalls. Aber von hinten ist es schwer zu sagen.«
    In diesem Augenblick drehte sich die Gestalt um, und sie konnten das Gesicht erkennen.
    »Ja, das ist Conor.« Sam nickte.
    »Sieht fast so aus, als würde er sich mit einem der Demonstranten unterhalten«, sagte Lucy. »Vielleicht ist es einer seiner Kumpel.«
    »Na ja, sehr freundschaftlich scheint es bei denen aber nicht
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