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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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an Tod oder Verletzungen verschwendet und war durch die Wälder geprescht als sei der Leibhaftige hinter ihr her. Daniel hatte es gehasst. Sie hatte es geliebt.
    „Also, Jo“, keuchte sie. „Das kriegst du doch wieder hin. Alles läuft bestens.“
    Josephine schloss die Augen und atmete den Duft des Waldes ein. Max kannte den Pfad in- und auswendig, er würde weder gegen einen Baum rennen noch sich verirren. Ehe sie wusste, wie ihr geschah, hatte sie Max das Zeichen zum Galopp gegeben. Weil sie gleichzeitig seine Zügel lockerließ, schoss er los wie ein angesengter Teufel. Ein panischer Schrei entfloh ihrer Kehle. Keine gute Idee. Gar keine gute Idee.
Nichts da
, schnappte ihr trotziges Alter Ego zurück.
Entweder ganz oder gar nicht. Das ist doch ein Leichtes für dich. Früher war dir der wildeste Galopp nicht wild genug
.
    Josephine drückte sich eng an den Pferdeleib und ignorierte die Mähne, die in ihr Gesicht klatschte. Unter ihr explodierte ungezügelte Kraft. Muskeln zogen sich zusammen, streckten sich, ließen den großen Körper geradezu über den Waldboden fliegen. Stammte dieses hohe Quietschen etwa aus ihrer Kehle? Es klang zugleich begeistert, wie auch zu Tode verängstigt. Vermutlich hatte sie so viel Angst, dass es sich anfühlte, als hätte sie diese Emotion gänzlich verloren. Josephine richtete sich auf, bis sie in jener raubtierhaften Stellung über dem Pferdehals kauerte, die sie damals perfektioniert hatte. Max legte die Ohren an und wurde noch schneller. Sein anmutiger Hals streckte sich nach vorn und bewegte sich im Rhythmus des Galopps. Alles jagte so schnell an ihr vorbei, dass sie gar nicht dazu kam, über Tod und gebrochene Knochen nachzudenken.
    Josephines Euphorie glomm langsam auf, begann zögerlich, zu brennen, knisterte scheu und zeigte irgendwann die ersten Flämmchen. Der See, dessen Wasser im Sommer türkis wurde und in dem sie gern ihre morgendlichen Runden schwamm, schoss nur so vorbei. Erschreckte Vögel stoben auf. Als sie aufblickte, sah sie zwischen den Wipfeln den im Abendrot glühenden Himmel. Vielleicht schaffte sie es bis auf den Berg, denn von dort bot sich ein unbeschreiblicher Blick über Montanas Wälder. Andererseits hatte sie dort nicht mehr gesessen, seit Daniel gestorben war. Vermutlich würde sich ein solcher Abstecher als Messer entpuppen, das es kaum erwarten konnte, das Narbengewebe ihrer Wunde aufzureißen.
    Josephine lenkte Max nach links, in den Pfad, der in einem weiten Bogen zurück zur Farm führte. Wieder ging er in gestreckten Galopp über – früher hätte sie das als Weicheischaukeln bezeichnet – und preschte über trockene Tannennadeln. Langsam gewann Josephine ihre alte Form zurück. Diese Erkenntnis sorgte dafür, dass sie ihre jahrelang gepflegte Phobie als albern abstempelte. So ausgeprägt konnte sie nicht gewesen sein, wenn sie nach so kurzer Zeit locker im Sattel saß, weder heulend noch zitternd. Ihre zuvor nur zaghaft zündelnde Euphorie entwickelte sich zu einem Feuer. Vermutlich waren ihre Ängste nur ein vorgeschobener Grund gewesen, keine Ausritte mehr zu unternehmen. Andererseits waren die Schweißausbrüche, die Panikattacken und das Zittern am ganzen Körper angesichts von Pferden, die auch nur ansatzweise Nervosität zeigten, sehr real gewesen.
    Josephine entschied sich, geheilt zu sein. Ihr Leben war ohnehin schwer genug und lechzte danach, von überflüssigem Ballast befreit zu werden. Was gab es Schöneres, als an einem lauen Sommerabend auszureiten? Es gab nichts Schöneres, war ihre eindeutige Antwort, als sie am Ufer des Baches entlangritt und Sommerdüfte ihre Sinne streichelten. Reste verwitterter Mauern ragten am Rande des Wasserlaufes zwischen den Tannen empor und gaben der Szenerie etwas Geheimnisvolles. Niemand wusste, was früher hier gestanden hatte. Nicht einmal Jacob, und der wusste als fast siebzigjähriger Einheimischer so ziemlich alles über die Gegend.
    Josephine tätschelte Max’ Hals, zügelte ihn ein wenig und lehnte sich im Sattel zurück. Stolz auf ihre Entschlossenheit und darauf, dass sie über ihren Schatten gesprungen war, erfüllte sie.
    Irgendetwas erschreckte das Pferd. Und zwar derart, dass es abrupt die Hufe in den Boden stemmte, schrill wieherte und stieg. Es geschah zu schnell, als dass sie irgendetwas hätte tun können. Ehe Josephine auch nur einen Laut der Verblüffung ausstoßen konnte, flog sie in hohem Bogen aus dem Sattel, fiel in die Tiefe und krachte mit rudernden Armen auf die
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