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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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hellblau waren sie gewesen. Wie ein klarer Sommerhimmel.
    „Er wäre stolz auf mich“, redete sie sich ein, straffte ihre Schultern und drückte Max die Fersen in die Flanken. „Ganz bestimmt. Also gib dir einen Ruck.“
    Trotz aller guten Vorsätze brach Josephine der kalte Schweiß aus, als der Buckskin sich in Bewegung setzte. Unwillkürlich schloss sie die Augen und betete. Wie idiotisch. Wäre Daniel hier gewesen, hätte er sie getröstet. Er hätte ihr zugezwinkert und gesagt, dass er ihr vertraute. Dass sie es schaffen würde. Sein Gesicht tauchte in ihrem Geist auf, so schmerzhaft mit all der guten Laune, die es verströmte.
    „Zeit heilt alle Wunden“, hatte jemand bei der Beerdigung gesagt. „Du wirst schon sehen.“ Josephine hätte diesem Jemand gern ein paar Zähne ausgeschlagen und denselben Spruch zurückgegeben. Vollständig geheilt waren die Wunden nicht, doch immerhin überzogen mit einer dünnen, empfindlichen Narbenschicht. Immer noch stand ihr Daniels zertrampelter Körper vor Augen, immer noch sah sie sein Blut im Stroh versickern und wachte nachts am Boden zerstört auf, weil ihre Träume von ihm gehandelt hatten. Von seinen Augen, seinem karamellblonden Haar, seinem spitzbübischen Lächeln. Einige Wochen nach seinem Tod hatte Josephine eine wilde Entschlossenheit gepackt, diese Farm irgendwie zu erhalten. Sie war ihr gemeinsamer Traum gewesen. Nein, sein Traum. Aber er hatte ihn auch zu ihrem gemacht. Der Verkauf von Mais und Getreide, der Rinder und Pferde brachte zwar längst nicht genug ein, um es der Farm finanziell gut gehen zu lassen, aber es hielt sie über Wasser. Was auch an der Handvoll Angestellten lag, die von derselben Entschlossenheit gepackt waren und gern Abstriche in Kauf nahmen, solange die Farm nur erhalten blieb. Sie hoffte inständig, diese Menschen niemals zu enttäuschen. Aber derzeit gewann sie das Gefühl, als wüchse die Arbeit ebenso schnell ins Unendliche wie ihre finanziellen Reserven dahinschmolzen. Genau genommen saß sie nur auf diesem Pferd, weil sie den ganzen Tag ein Gedanke verfolgt hatte: Es ging den Bach runter.
    Bring erst mal deine Ängste in den Griff
, hatte ihre Vernunft lakonisch geantwortet.
Dann sehen wir weiter. Es kann nur von Nutzen sein, wenn du endlich wieder mit den Pferden arbeiten kannst. Jacob schafft es nicht allein. Er ist völlig überfordert. Sicher hasst er dich längst, auch wenn er es nie zeigen würde
. Glücklicherweise war weder der gute, alte Jacob zu sehen noch einer der anderen Angestellten. Josephine hielt die Luft an, lenkte Max am Stall vorbei und schwenkte zum Waldrand. Die Kühe auf der Weide glotzten ihnen kiefermahlend hinterher. Es war ein wunderschöner Abend. Lieblich tropfte das Zirpen der Grillen in die Stille hinein und in der warmen Luft lag ein Aroma, das sie an ihre Kindheit denken ließ. Waldboden, Gras, sonnengewärmte Erde, Stallgeruch und Heu. In der Wildnis Montanas hatte Josephine es wiedergefunden – das Gefühl der endlosen Sommer.
    Max schnaufte, als er über die aus Steinen errichtete Brücke trottete. Sehnsüchtig warf er dem glucksenden Wasser des Bacheseinen Blick zu und hätte sich vermutlich lieber darin gewälzt, als einen Reiter mit sich herumzuschleppen. Wobei Josephine keine wirkliche Herausforderung darstellte. Mit ihren 1,57 m bei 48 kg war sie ein Hänfling, den der Buckskin vermutlich nicht einmal spürte. Am Ende vergaß er sie einfach und wälzte sich mit ihr zusammen auf dem Boden.
    Josephine begann, mit Max zu reden. Und wenn sie nicht redete, dann zupfte sie in regelmäßigen Abständen an den Zügeln. Die Verkrampfung ihres Körpers legte sich, um schließlich, als sie die Wiese überquert und den Waldweg erreicht hatten, gänzlich zu weichen. Lauer Wind trocknete ihren Schweiß, langsam normalisierte sich ihr Atem. Das Ganze war einfacher, als sie erwartet hatte. Möglicherweise beruhte diese ganze Angstsache auf einem großen Anteil Einbildung. Oder Max, dieses durch und durch brave Musterexemplar bedingungsloser Hingabe, war der geborene Menschenflüsterer. Josephine tätschelte den Hals des Buckskins und wertete sein freundliches Schnauben als Ermunterung. Probeweise ließ sie ihn in den Trab überwechseln, was sich bei Max anfühlte, als schaukele man in einem Fernsehsessel. Zwar kehrte nun der Krampf in ihren Körper zurück, aber Josephine ignorierte ihn wild entschlossen. Vor Daniels Tod war sie eine halsbrecherische Reiterin gewesen. Keinen müden Gedanken hatte sie
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