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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele
Autoren: Britta Strauß
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zu. Er stemmte sich hoch, wich zurück, griff sich an die Brust und öffnete den Mund zu einem stummen Schrei. Seine Haut glühte. Ein Strahlen schien aus den Poren zu dringen, rein und kraftvoll und pulsierend wie ein Herzschlag aus Licht.
    Als sei sie ein Zaungast, der etwas aus weiter Ferne verfolgt, beobachtete Josephine das Geschehen. Hazlewood sah an sich hinab, in einem Wechselbad aus Entsetzen und Euphorie badend. Er lachte, begann sich zu drehen, keuchte unter Schmerzen auf und rang nach Atem. Das Strahlen wurde intensiver. Es hüllte den Körper in ein Kraftfeld, dessen Energie über Josephines Haut floss und vertraut und fremd zugleich anmutete. Schloss sie die Augen, war es, als sei Nathaniel noch am Leben. Da war es, dieses Prickeln, diese Hitze … schmerzhaft schön und unbegreiflich.
    Ein Schrei erklang. Gurgelnd und panisch. Josephine öffnete die Augen. Sie sah Hazlewoods Haut aufplatzen, gesprengt von der Macht der Energie. Gleißendes Licht strahlte aus seinen Augen, aus seinem weit geöffneten Mund und aus Dutzenden tiefer Wunden. Hazlewoods Hände, die über seinen Augen lagen und von dem Strahlen durchdrungen wurden, erinnerten an erkaltete und aufplatzende Lava.
    Dann ein alles erfüllendes Strahlen … ein Schmerz in ihren Augen, der sie aufschreien ließ … und Stille.
    Josephine lag da. Schwer atmend, allem entrückt. Etwas berührte ihren Arm, zwang sie, aufzublicken. Ein Wesen stand vor ihr. Nein – es schwebte. Das Licht, konzentriert zu einer Gestalt, die entfernt menschenähnlich anmutete. Sie sah kein Gesicht, nur den flirrenden Umriss eines langen, schmalen Kopfes, getaucht in ein Halo hellen Lichtes. Josephine richtete sich auf. Plötzlich spürte sie, wie das Geschöpf durch sie hindurchglitt. Eine Macht erfüllte sie, die jeder Beschreibung spottete. Es war die flüchtige Berührung von etwas Göttlichem, etwas wahrhaft Uraltem, das sich jedem menschlichen Begreifen entzog.
    Josephine fand sich zusammengesunken auf dem Boden wieder. Die Erinnerung fiel wie ein Ungeheuer über sie her. Keine drei Schritte entfernt lagen Hazlewoods Überreste, kaum mehr als ein Haufen weißer Asche, die den groben Umriss eines menschlichen Körpers formten.
    Josephine sprang auf. Sie stürmte zurück in das Zimmer, in dem die Transfusion stattgefunden hatte, erfüllt von neuer Hoffnung, huschte durch die Tür und – sank in sich zusammen.
    Gregs Körper und der des Arztes waren in weiße Asche verwandelt worden, doch Nathaniel lag nach wie vor auf der Liege. Bleich, starr und unzweifelhaft tot.
    Josephine taumelte zu ihm. Jeder Schritt war von bleierner Schwere. Als sie über Nathaniel zusammensank, wusste sie, dass sie nie wieder aufstehen würde. „Warum? Warum bist du nicht in ihn zurückgekehrt?“
    Der Geist hatte sich einen anderen Körper gesucht. Es musste so sein. Oder hatte er entschieden, dass die Menschheit seiner Hilfe nicht mehr würdig war? War er dorthin zurückgegangen, woher er vor Urzeiten gekommen war?
    „Ich liebe dich“, flüsterte Josephine, die Lippen an Nathaniels eiskalte Wange gelegt. „Ich liebe dich mehr, als ich es dir jemals hätte zeigen können.“
    Sie nahm ihre letzte Kraft zusammen, löste seine Fesseln und zog sich hoch, um Körper an Körper zu liegen. Kälte sickerte in ihre Glieder. Eine saugende, endgültige Kälte, die ihre Wärme und ihr Leben in sich aufnehmen würde. Es hatte etwas Friedvolles an sich. Hier bei ihm zu liegen, aus dem Fenster zu blicken und das Laub zu sehen, das im Sonnenlicht flirrte und tanzte. Sie würden sich wiedersehen. Nicht in dieser Welt, doch irgendwo anders. Josephine schloss die Augen. Der Schlaf kam so schnell, dass sie nicht einmal spürte, wie die Müdigkeit sie übermannte. Irgendwann durchdrang ein seltsamer Rhythmus die zähe Schwärze, in der sie schwebte. Ferne Trommeln? Der Ruf jenes Ortes, den Nathaniel als Land jenseits des Sonnenuntergangs bezeichnet hatte? Sie lauschte ihrem Klang. Er wurde lauter und kräftiger. Lebendiger. Wärme hüllte sie ein.
    „Ich komme“, murmelte sie. „Ich bin hier. Aber alles ist dunkel.“
    „Wie wäre es, wenn du einfach die Augen aufmachst?“
    Die Stimme riss Josephine so abrupt aus dem Schlaf, dass sie hochfuhr. Es war noch immer dunkel. Aber es war die Dunkelheit der Nacht. Sie war in diesem Zimmer … diesem furchtbaren Zimmer. Die Apparate, all diese scheußlichen Dinge.
    Nathaniel …
    … der neben ihr lag und lächelte.
    Josephine brachte kein Wort hervor. War es
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