Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Narziss und Goldmund

Titel: Narziss und Goldmund
Autoren: Hermann Hesse
Vom Netzwerk:
schien alles schon zu schlafen, bleich schimmerten die niederen Giebel, von den dunklen Rippen des Gebälks durchwachsen, nirgends war Licht. Adolf ging voran, schleichend und schweigend umgingen sie einige Häuser, stiegen über einen Zaun, standen in einem Garten, traten in die weiche Erde von Beeten, strauchelten über Stufen, hielten vor der Wand eines Hauses. Adolf pochte an einen Laden, wartete, pochte nochmals, innen gab es Geräusch, und bald schimmerte Licht auf, der Laden öffnete sich, und einer hinterm andern stiegen sie ein, in eine Küche mit schwarzem Rauchfang und irdenem Boden. Auf dem Herd stand klein eine Öllampe, flackernd brannte auf dünnem Docht eine schwache Flamme. Ein Mädchen stand hier, eine hagere Bauernmagd, die gab den Eindringlingen die Hand, hinter ihr aus dem Dunkel trat ein zweites, ein junges Kind mit langen dunklen Zöpfen.
    Adolf brachte Gastgeschenke mit, einen halben Laib weißes Klosterbrot und etwas in einem papierenen Beutel, Goldmund vermutete, es sei ein wenig gestohlener Weihrauch oder Kerzenwachs oder dergleichen. Die Junge mit den Zöpfen ging hinaus, ohne Licht tastete sie sich durch die Tür, blieb lange aus und kam wieder mit einem Krug aus grauem Ton mit blauer Blume darauf, den sie Konrad reichte. Er trank daraus und gab ihn weiter, alle tranken, es war starker Apfelmost.
    Im Schein der winzigen Lampenflamme ließen sie sich nieder, auf kleine steife Stabellen die beiden Mädchen, rund um sie auf dem Boden die Schüler. Es wurde flüsternd gesprochen, dazwischen Most getrunken, Adolf und Konrad führten das Wort. Zuweilen stand einer auf und streichelte der Hageren das Haar und den Nacken, flüsterte ihr ins Ohr, die Kleine blieb unberührt. Wahrscheinlich, dachte Goldmund, war die Große die Magd, die hübsche Kleine die Tochter des Hauses. Es war übrigens gleichgültig, und es ging ihn nichts an; denn er würde niemals mehr hierherkommen. Das heimliche Ausreißen und der Nachtgang durch den Wald, das war schön, das war ungewohnt, erregend, geheimnisvoll und doch nicht gefährlich. Es war zwar verboten, aber die Übertretung des Verbots belud das Gewissen nicht schwer. Das hier aber, dieser nächtliche Besuch bei den Mädchen, war mehr als nur verboten, so fühlte er, es war Sünde. Für die andern vielleicht war auch dies nur ein kleiner Seitensprung, für ihn aber nicht; für ihn, der sich zum Mönchsleben und zur Askese bestimmt wußte, war kein Spiel mit Mädchen erlaubt. Nein, er würde nie wieder mitkommen. Aber sein Herz schlug stark und bang in der Ampeldämmerung der ärmlichen Küche.
    Seine Kameraden spielten vor den Mädchen die Helden und machten sich mit lateinischen Redensarten wichtig, die sie in die Unterhaltung mischten. Alle drei schienen bei der Magd in Gunst zu stehen, sie näherten sich ihr je und je mit ihren kleinen, linkischen Liebkosungen, deren zärtlichste ein scheuer Kuß war. Sie schienen genau zu wissen, was ihnen hier erlaubt sei. Und da die ganze Unterhaltung im Flüsterton geführt werden mußte, hatte die Szene eigentlich etwas Komisches, doch Goldmund empfand nicht so. Er kauerte still am Boden und blickte starr ins Flämmlein der Ampel, ohne ein Wort von sich zu geben. Zuweilen fing er mit etwas begehrlichem Seitenblick eine der Zärtlichkeiten auf, die zwischen den andern getauscht wurden. Steif blickte er vor sich hin. Am liebsten aber hätte er nichts anderes angeschaut als die Kleine mit den Zöpfen, aber gerade dies verbot er sich. Immer aber, wenn einmal sein Wille nachließ und sein Blick sich zu dem stillen süßen Mädchengesicht hinüber verirrte, fand er unfehlbar ihre dunklen Augen auf sein Gesicht geheftet, wie verzaubert starrte sie ihn an.
    Eine Stunde war vielleicht vergangen – nie hatte Goldmund eine so lange Stunde erlebt –, da waren Redensarten und Zärtlichkeiten der Schüler erschöpft, es wurde still, und man saß etwas verlegen, Eberhard fing an zu gähnen.
    Da mahnte die Magd zum Aufbruch. Alle erhoben sich, alle gaben der Magd die Hand, Goldmund zuletzt. Dann gaben sie alle der Jungen die Hand, Goldmund zuletzt. Dann stieg Konrad voran aus dem Fenster, ihm folgten Eberhard und Adolf. Als auch Goldmund hinausstieg, fühlte er sich von einer Hand an der Schulter zurückgehalten. Er konnte nicht anhalten; erst als er draußen am Boden stand, wandte er sich zögernd um. Aus dem Fenster beugte sich die Junge mit den Zöpfen.
    »Goldmund!« flüsterte sie. Er blieb stehen.
    »Kommst du einmal wieder?«
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher