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Narziss Und Goldmund

Narziss Und Goldmund

Titel: Narziss Und Goldmund
Autoren: Hermann Hesse
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scheint und da ich dir zwar an Amtsgewalt, nicht aber an Wissen und Gaben überlegen bin, will ich nicht selbst die Entscheidung treffen, sondern wir werden sie unserem Vater Abt vortragen und ihn entscheiden lassen.«
    So taten sie denn, und Abt Daniel hörte den Streit der beiden Gelehrten über ihre Auffassung des Unterrichts in der Grammatik geduldig und freundlich an. Nachdem sie beide ihre Meinungen ausführlich dargelegt und begründet hatten, blickte der alte Mann sie fröhlich an, schüttelte ein wenig das greise Haupt und sprach: »Liebe Brüder, ihr glaubet ja wohl beide nicht, daß ich von diesen Sachen ebensoviel verstünde wie ihr. Es ist löblich von Narziß, daß 12
    die Schule ihm so sehr am Herzen liegt und daß er den Lehrplan zu verbessern strebt. Wenn aber sein Vorgesetzter anderer Meinung ist, so hat Narziß zu schweigen und zu gehorchen, und alle Verbesserungen der Schule wögen es nicht auf, wenn ihretwegen Ordnung und Gehorsam in diesem Haus gestört würden. Ich tadle Narziß, daß er nicht nachzugeben wußte. Und euch beiden jungen Gelehrten wünsche ich, es möge euch nie an Vorgesetzten mangeln, welche dümmer sind als ihr; nichts ist besser gegen den Hochmut.« Mit diesem gutmütigen Scherz entließ er sie.
    Aber er vergaß keineswegs, während der nächsten Tage ein Auge darauf zu haben, ob zwischen den beiden Lehrern wieder ein gutes Einvernehmen bestehe.
    Und nun begab es sich, daß ein neues Gesicht im Kloster erschien, das so viele Gesichter kommen und gehen sah, und daß dies neue Gesicht nicht zu den unbemerkten und schnell wieder vergessenen gehörte. Es war ein Jüngling, der, schon vorlängst von seinem Vater angemeldet, an einem Frühlingstage eintraf, um in der Klosterschule zu studieren. Beim Kastanienbaum banden sie ihre Pferde an, der Jüngling und sein Vater, und aus dem Portal kam der Pförtner ihnen entgegen. Der Knabe blickte an dem noch winterkahlen Baum empor. »Einen solchen Baum«, sagte er, »habe ich noch nie gesehen. Ein schöner, merkwürdiger Baum! Ich möchte wohl wissen, wie er heißt.«
    Der Vater, ein ältlicher Herr, mit einem versorgten und etwas verkniffenen Gesicht, kümmerte sich nicht um die Worte des Jungen. Der Pförtner aber, dem der Knabe alsbald wohl-gefiel, gab ihm Auskunft. Der Jüngling dankte ihm freundlich, gab ihm die Hand und sagte: »Ich heiße Goldmund und soll hier zur Schule gehen.« Freundlich lächelte der Mann ihn an und ging den Ankömmlingen voran durchs Portal und die breiten Steintreppen hinauf, und Goldmund betrat das Kloster ohne Zagenmit dem Gefühl, an diesem Ort schon zwei 13
    Wesen begegnet zu sein, denen er Freund sein konnte, dem Baum und dem Pförtner.
    Die Angekommenen wurden erst vom Pater Schulvor-
    steher, gegen Abend auch noch vom Abt selbst empfangen.
    An beiden Orten stellte der Vater, ein kaiserlicher Beamter, seinen Sohn Goldmund vor, und man lud ihn ein, eine Weile Gast des Hauses zu sein. Er machte jedoch nur für eine Nacht vom Gastrecht Gebrauch und erklärte, morgen zu-rückreisen zu müssen. Als Geschenk bot er dem Kloster das eine seiner beiden Pferde an, und die Gabe ward angenommen. Die Unterhaltung mit den geistlichen Herren verlief artig und kühl; aber sowohl der Abt wie der Pater blickte den ehrerbietig schweigenden Goldmund mit Freude an, der hübsche zärtliche Junge gefiel ihnen sogleich. Den Vater ließen sie andern Tages ohne Bedau-ern wieder ziehen, den Sohn behielten sie gerne da. Goldmund wurde den Lehrern vorgestellt und bekam ein Bett im Schlafsaal der Schüler. Ehrerbietig und mit betrübtem Gesicht nahm er Abschied von seinem wegreitenden Vater, stand und blickte ihm nach, bis er zwischen Kornhaus und Mühle durch das enge Bogentor des äußeren Klosterhofes verschwand. Eine Träne hing ihm an der langen blonden Wimper, als er sich umwandte; da empfing ihn schon der Pförtner mit einem liebkosenden Schlag auf die Schulter.
    »Junges Herrchen«, sagte er tröstend, »du mußt nicht traurig sein. Die meisten haben im Anfang ein klein wenig Heimweh, nach Vater, Mutter und Geschwistern. Aber du wirst schnell sehen: es läßt sich auch hier leben, und gar nicht übel.«
    »Danke, Bruder Pförtner«, sagte der Junge. »Ich habe keine Geschwister und keine Mutter, ich habe bloß den Vater.«
    »Dafür findest du hier Kameraden und Gelehrsamkeit und Musik und neue Spiele, die du noch nicht kennst, und 14
    dies und jenes, du wirst schon sehen. Und wenn du einen brauchst, der es gut mit dir
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