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Nachtruf (German Edition)

Nachtruf (German Edition)

Titel: Nachtruf (German Edition)
Autoren: Leslie Tentler
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bist du, Shayla?“
    „Ich bin vierzehn, fast fünfzehn.“
    „Ich verstehe.“ Die andere Stimme gehörte einer Frau. Sie hatte einen weichen Südstaatenakzent. „An was für eine Art Tattoo hast du denn gedacht?“
    „Ich möchte ein Anch-Kreuz – nicht zu groß, auf die Schulter.“ Trevor kannte dieses Zeichen. Es war eine ovale Schlaufe auf einem Kreuz, ein ägyptisches Symbol für das ewige Leben, das innerhalb der Gothic-Szene äußerst beliebt war.
    „Tja, das klingt doch ziemlich bescheiden. Was hält deine Mutter davon?“
    „Ihr ist es egal, was mit mir ist oder was ich tue.“
    Es herrschte ein kurzes Schweigen, als ob die Frau gerade tatsächlich die Lage der Anruferin überdenken würde. Selbstverständlich ist sie viel zu jung, um sich ein Tattoo stechen zu lassen, fand Trevor und ignorierte den Schweiß, der ihm in den Augen brannte. Warum erklärt die Frau ihr das nicht einfach? Die Leute auf der Straße waren für ihn nur noch verschwommen wahrzunehmen, als er an ihnen vorbeirannte.
    „Hör zu. Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Du könntestdir trotzdem eines stechen lassen – ohne die Erlaubnis deines Stiefvaters.“
    Super Idee. Trevor schüttelte den Kopf und sprintete vor einer Pferdekutsche entlang, in der eine Gruppe von Nachtschwärmern johlend miteinander anstieß.
    „Aber wenn du das machst“, setzte die Frau hinzu, „bekommst du richtig viel Ärger, wenn er es herausfindet.“
    „Wem sagen Sie das.“ Er konnte beinahe hören, wie der Teenager die Augen verdrehte.
    „Eines möchte ich dir noch sagen. Du meintest, deine Mom würde sich nicht um dich kümmern. Ich kann natürlich nicht beurteilen, ob es so ist. Aber vielleicht verbietet dein Stiefvater dir das Tattoo, weil er nicht will, dass du etwas tust, was du später im Leben bereust. Tattoos sind von Dauer, und er möchte sicher sein, dass du diese Entscheidung bewusst triffst. Unangebracht oder nicht – es klingt, als würde er sich um dich sorgen.“
    Das Mädchen war einen Moment lang still. „Vielleicht.“
    „Hör auf meinen Rat, Shayla. Nimm das Geld, das du für das Tattoo ausgeben wolltest, und kauf dir davon einen richtig tollen Anch-Anhänger. Betrachte ihn als Investition in dein Outfit. Trage ihn, und wenn du achtzehn bist und immer noch ein Tattoo willst, dann los.“
    Die Anruferin legte auf, und die Frau sagte: „Sie hören Midnight Confessions mit Dr. Rain Sommers auf WNOR, dem alternativen Radio von New Orleans.“
    Der Sender wechselte zu einer Werbung für kalorienarmes Bier. Mit einem Schlag wurde Trevor klar, wohin sein Unterbewusstsein ihn geführt hatte. Dauphine Street. Das Mallory’s war ganz in der Nähe. Sein Vater stand wahrscheinlich hinter der Bar und schenkte Alkoholisches aus. Oder er hockte auf der anderen Seite der Theke und versoff seinen Gehaltsscheck. Trevor blieb stehen, beugte sich vor und stützte sich mit den Händen auf den Oberschenkeln ab, um Luft zu holen. Dann schloss er die Augen. Seine Unentschlossenheit nervte ihn, doch die magnetische Anziehungskraft der Bar gewann schließlich die Oberhand.
    Ich werde auf keinen Fall hineingehen, schwor er sich. Ihm reichte ein Blick durchs Fenster auf den Mistkerl – die Bestätigung für sich selbst, dass Gott es in all seiner Ungerechtigkeit nicht für angebracht gehalten hatte, den Mann für seine Taten zu bestrafen. Die Radiomoderatorin kehrte ans Mikrofon zurück, während Trevor sich das Gesicht mit einem Zipfel des T-Shirts abwischte und sich wieder in Bewegung setzte.
    „Unser nächster Anrufer ist Daniel aus dem French Quarter. Über was möchten Sie heute Abend sprechen, Daniel?“
    „Ich möchte über dich sprechen, Rain. Über dein Erbe.“
    Für einen Augenblick herrschte Totenstille. „Es tut mir leid. Wir sprechen nicht über mich, das ist eine der Regeln. Haben Sie irgendein Problem, bei dem ich Ihnen heute Abend helfen kann?“
    „Du bist mein Problem, Rain. Ich muss einfach ständig an dich denken.“
    „Das klingt nach einem ziemlich billigen Anmachspruch.“
    Während die Stimme der Frau sinnlich klang, war die des Anrufers tief, beinahe hypnotisch. Trevor zwang sich, schneller zu laufen. Die Luft flirrte über der Straße, es war stickig und schwül, und es ging keine Brise.
    „Es ist wahr, Rain. Ich mag dich. Sehr sogar.“
    „Mein Marktwert scheint offenbar zu steigen. Ich habe meinen ersten echten Stalker.“ Ihr Ton war scharf und voller Sarkasmus. „Hören Sie, Daniel. Wir sind hier alle
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