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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade
Autoren: N Förg
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sollte er sie kennen, die Frau, mit der er
schlief. Wissen, dass Kassandra eine Botschaft darin sehen würde, dass sie
schon zwei Mal eine Leiche entdeckt hatte. Dass sie das aufarbeiten musste. Er
griff nach seinem Handy und wählte ihre Nummer. Es war nicht mal eine Mailbox
dran. Zornig packte er eine der unabgespülten Tassen und hielt sie unters
Wasser. Den Erstbesten, der vorbeikam, brüllte er an: »Kann hier mal
irgendjemand den Saustall aufräumen!« Er stampfte zurück ins Büro, wo Evi so
tat, als würde sie geschäftig irgendwelche Akten studieren. Sie sah auf.
    »Ich soll dir von Kassandra sagen, sie sei zu ihrer
Schwester nach Freiburg gefahren. Sie hat gerade angerufen. Sie will ihre
Gedanken sortieren. Sie würde sich melden, hat sie gesagt.« Evi zog fast ein
wenig den Kopf ein, eingedenk der Tatsache, dass der Überbringer schlechter Nachrichten
selbigen ja gerne mal verlor.
    »Was heißt hier angerufen? Wieso holst du mich nicht
ans Telefon?« Gerhard war ziemlich laut.
    »Weil sie auf meinem Handy angerufen und mich gebeten
hat, dir das auszurichten«, sagte Evi und stöberte dabei in irgendwelchen
Schriftstücken.
    Aber Gerhard reagierte gar nicht. Er sah an Evi
vorbei. »Was ist jetzt mit der Toten?«, fragte er in Richtung der Wand.
    »Also, unsere Tote wohnt in Schönberg. Jacqueline
Paulig, geboren am 12.10.1980 in Pasewalk, erste Wohnadresse Klein Luckow.«
    »Wo ist das denn?«
    »In der Uckermark. Nicht gerade eine Boomgegend, was
Arbeitsplätze betrifft. Deshalb ist sie wohl mit ihrer Mutter 1993 nach Kempten
gezogen, ins Thingers. Die Mutter wohnt da noch. Jacqueline hat mit siebzehn an
der Maria-Ward-Schule in Kempten ihre mittlere Reife gemacht und war dann in
Isny auf der NTA «, erklärte Evi.
    » NTA ?«
    »Diese Schule für PTA s,
hattest du nie ‘ne Freundin von dort? Die Mädels waren doch sicher im tobenden
Nachtleben von Kempten unterwegs? Und von dir hört man, dass du zeitweise nicht
wählerisch …«
    »Evi, es reicht!«, unterbrach Gerhard sie.
    »Ja, schon gut. Also: Die Ausbildung dauerte
zweieinhalb Jahre; als sie volljährig war, ist sie nach Isny in ein Wohnheim
und dann im Januar 2002 nach Peißenberg gezogen. Hat da eine erste Stelle
angetreten. Hat anscheinend die Probezeit nicht überstanden. Dann hatte sie in
den nächsten Jahren verschiedene Adressen und Jobs. Die Verweildauer in ihren
Jobs wurde immer kürzer.«
    Gerhard war immer noch verschnupft wegen Evis unangemessener
Attacke. Sie mochte ihn privat ja veräppeln, aber nicht im Büro. Und das
Schlimmste war: Sie hatte recht. Er schluckte den Ärger – über sie, mehr über
sich selbst – runter. »Das hast du in der Kürze der Zeit alles rausgefunden?
Respekt.«
    Evi zuckte mit den Schultern. »Tja …«
    »Und die momentane Adresse von Jacqueline Paulig?
Schönberg, sagst du?«, fragte Gerhard.
    »Ist ein Bauernhof außerhalb von Schönberg. Es handelt
sich um Herrn Anton und Frau Marianne Erhard. Bruder und Schwester. Jacqueline
hat dort ein wenig ausgeholfen für Kost und Logis. Vor allem weil der Bauer
eine Knie- OP hatte und etwas
gehandicapt war.«
    »Sonst noch Verwandte hier?«, fragte Gerhard.
    »Nein, wir müssen die Mutter informieren. Aber das
sollten wir kaum am Telefon machen. Sollen wir die Kollegen in Kempten bitten?«
    »Nein, wir fahren hin. Wir müssten so oder so mit der
Mutter reden.«
    »Gleich?« Evi sah ihn überrascht an.
    »Gleich!«
    Gerhard griff sich seine Softshell-Jacke, die er sonst
zum Skitourengehen trug und die zu seinem neuen Lieblingskleidungsstück
aufgestiegen war, seit seine Antiklederjacke gestorben war. Oder gestorben
worden war. Kassandra und Jo hatten sie in einer gemeinsamen geheimen
Kommandosache verschwinden lassen, nachdem er sich geweigert hatte, das völlig zerschlissene
und speckige Stück zu entsorgen. Die beiden hatten gesagt, dass sie sich so
nicht weiter mit ihm in der Öffentlichkeit zeigen würden. Weiber! Und das
wirklich Irritierende war, dass Kassandra niemals eine solche Aktion angedacht
oder durchgezogen hätte. Ihr Umgang mit Jo, ja er musste das so formulieren,
tat ihr gar nicht gut. Er fand den Gedanken beklemmend, dass die klare, kluge
Kassandra eben doch für diesen Weiberkram zu haben war und sich verführen ließ
von Jos Albernheiten. Kassandra, die nun einfach verschwunden war. Einfach?
Gerhard versuchte, die Gedanken an Kassandra abzuschütteln. Im Gehen wies er
Melanie und Felix an, möglichst viel über die Biografie und die
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