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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade
Autoren: N Förg
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sie
gefunden?«
    »Etwa um sechs, das heißt, sie wurde zwischen zwölf
und drei ermordet.«
    »War es Mord?«, fragte Evi.
    »Was denkst du?«, fragte Gerhard.
    »Der Notarzt sprach von Abwehrverletzungen, oder?«
    »Hmm«, machte Gerhard.
    Evi überlegte kurz. »Zumindest spricht das für eine
Fremdbeteiligung. Versuchte Vergewaltigung vielleicht? Warten wir den Befund
ab. Und wie geht’s jetzt weiter?«
    Gerhard sah an sich herab. Er war in eine Jeans
gehüpft, hatte noch das verwaschene T-Shirt an, das er im Bett getragen hatte,
und ausgelatschte Trekkingsandalen. »Ich würde mich gerne etwas zivilisieren. Kannst
du hier die Spurensicherung briefen und schon mal Melanie und Felix
losschicken, Leute zu befragen? Vielleicht hat jemand was gesehen.«
    »Okay, bis später im Büro.« Sie grinste ihn an.
    »Was verziehst du deine entzückende Schnute so?«
    »Hast du bei Hanni und Nanni übernachtet? Im kleinen
Tierpark hinter den sieben Bergen?« Evi lachte lauthals.
    »Sehr witzig! Ja, hab ich, sonst wäre ich auch gar
nicht so schnell da gewesen. Und spar dir bitte jeden weiteren Kommentar.«
    »Aye, aye, Chef.« Evi wandte sich ab und rief die
Kollegen Felix Steigenberger und Melanie Kienberger zu sich.
    Gerhard sah sich um. Kassandra saß auf einer Bank und
schaute übers Wasser. Er setzte sich zu ihr. »Geht’s?«
    »Sicher«, sagte Kassandra und blickte weiter
geradeaus.
    »Kannst du bei Evi den Vorfall nochmals genau zu
Protokoll geben? Ich müsste dann mal weg.«
    »Sicher.«
    Er legte ihr ein wenig linkisch, wie er selbst fand,
die Hand aufs Knie. »Danke, dass du so besonnen reagiert hast. Ich melde mich.«
    »Sicher.« Sie war aufgestanden, klemmte sich den
aufgeregt wedelnden Plinius unter den Arm und ging davon.
    Gerhard griff sich Jos Bike wieder und radelte los.
Wie besessen trat er in die Pedale, beim Josl-Hof kam er regelrecht ins
Schlingern, so schnell war er. Er trieb das Rad nach Gschwend hinauf, in einem
viel zu hohen Gang. Als er vor dem alten Haus in Echelsbach abbremste, atmete
er schwer. Das Tennentor stand offen, Jos Auto war weg. Die Haustür war
unabgesperrt, Jo weigerte sich geflissentlich, einzusehen, dass es auch auf dem
Land Diebe gab. In der Küche lag ein Zettel auf der Saeco. »Guten Morgen! Wo
seid ihr denn schon so früh hin? Grüßle.«
    Grüßle? Himmel, Jo hatte manchmal seltsame
Anwandlungen. Nun, Jo würde in ihrem Büro in Unterammergau bald erfahren, dass
es eine Tote am See gegeben hatte. So was ging um wie ein Lauffeuer. Für sie
als PR -Chefin des
Tourismusverbands war das wohl keine Nachricht, die sich gut vermarkten ließ.
Er ging in Kassandras Zimmer, wo Kater Hölderlin natürlich genau auf seinem
Pullover einen Katzenkringel gebildet hatte und empört war, dass man ihn da
runterhob. Seine Socken waren von Pina Grigia von Grabenstätt belegt, einer
streitbaren Tigerin, die ihm erst mal eine Kralle in die Hand hieb. Im Bad
schöpfte er sich kaltes Wasser ins Gesicht, und als er sich ein Handtuch aus
dem zum Schrank umfunktionierten orange angemalten Bosch-Kühlschrank – eine von
Jos exaltierten innenarchitektonischen Ideen – nehmen wollte, hatte sich da
Bianchi von Grabenstätt eingenistet. Das weiße Vieh hätte eigentlich kahl sein
müssen, so viele Haare hatte es auf den Handtüchern abgeworfen. Bianchi gähnte
ihn mit diesem abfälligen Katzenblick »Wer stört?« herzhaft an. Er flüchtete
vor der ganzen Katzenplage und war heilfroh, in sein tierfreies Büro in
Weilheim zu kommen.
    Dort war Evi auch schon eingetroffen.
    »Haben wir die Identität der Toten?«, fragte Gerhard.
    »Ja, haben wir. Kassandra hatte auch den Eindruck, sie
zu kennen«, sagte Evi.
    »Ja?«
    »Ja, Kassandra hat sie sicher mal in Bayersoien
gesehen.« Evi sah ihn scharf an.
    »Ja, was jetzt? Enthüllst du mir mal ihren Namen?«
Gerhard spürte, dass ihm Schlaf fehlte. Viel Schlaf. Er war gereizt.
    »Gerhard, hast du denn gar nichts gemerkt?« Evi
schaute immer noch so merkwürdig.
    »Was gemerkt?«
    »Es ist schon das zweite Mal, dass Kassandra über eine
Leiche gestolpert ist. Das erste Mal im mystischen Eibenwald und nun heute am
moosig-moorigen See. Du solltest Kassandra wenigstens ein bisschen kennen. Das
hat sie völlig aus der Bahn geworfen. Sie war wie paralysiert. Sie hat geredet
wie ein Roboter.«
    Gerhard sah Evi an, dann sprang er plötzlich auf. »Ich
hol mal ‘nen Kaffee.«
    Was für ein Idiot war er bloß? Deshalb war sie so kurz
angebunden gewesen. Ja, ein bisschen
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