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Nachtpfade

Nachtpfade

Titel: Nachtpfade
Autoren: N Förg
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mit einem kornblumenblauen Himmel. Ganz oben am
Hörnle hatten die drei Gipfel vorwitzig Schneekappen aufgezogen, es hatte vor
einigen Tagen bis auf zwölfhundert Meter heruntergeschneit. Aber der Winter
würde sich noch gedulden müssen, denn so kraftvoll, wie die Sonne war, würde
sie sich Schnee und Frost eine Weile entgegenstemmen.
    »Und?«, fragte Gerhard den Arzt.
    »Sie ist ertrunken, würde ich sagen.«
    »Ertrunken oder ertrunken worden?« Gerhards Blick ging
über den See, den Spiegelsee, den winzigen See, über den ein Blesshuhn seine
Spur zog. Ein einziges, einsames Blesshuhn. Jo nannte diese Viecher immer
Schwimm-Schwimms. Weil sie ständig mit dem Kopf wippten. Wie der Wackeldackel.
Angesichts von Tieren fiel ihm stets Jo ein. Die Tiere über die Menschen
stellte, weil sie schließlich für die Tiere Verantwortung hatte. Menschen
hingegen waren eigenverantwortlich. Sagte Jo. Manchmal – nein, oft – hatte er
ihre Tiere gehasst, weil die ihre ungeteilte liebevolle Aufmerksamkeit erhalten
hatten. Er nie!
    »Herr Kommissar! Hallo! Ich rede mit Ihnen. Was wäre
Ihnen lieber: ertrunken oder ertrunken worden?«, fragte der Doc eindringlich.
    »Äh, entschuldigen Sie. Ich war in Gedanken.
Angesichts dieses schönen Tages? Ertrunken, ein bedauerlicher Unfall. Ich würde
dann mein Mountainbike packen und in die Schöffau radeln. Ich würde der
Versuchung widerstehen, schon im Blaslhof oder beim Lieberwirth einzukehren.
Erst in Uffing würde ich mich in den Alpenblick setzen, dann den See umrunden,
im Jägerhaus schon wieder einkehren und vergessen, dass ich einen Job habe,
dass ich diesen Job habe.«
    »Hört sich gut an. Aber ich befürchte, das wird nichts
mit der Biketour. Sie hat einige seltsame Abschürfungen hier, Druckstellen und
Flecke«, sagte der Arzt.
    »Könnten die nicht einfach entstanden sein, weil sie
über den Boden geschleift wurde, angespült oder so?«
    »Sie wollen unbedingt aufs Bike, hmm?« Der Notarzt
drohte ihm scherzhaft mit dem Finger. »Sehen Sie selbst, diese merkwürdigen
Druckstellen an den Handgelenken.«
    »Abwehrverletzungen?«, fragte Gerhard.
    »Ja, ich denke.«
    »Und wie lange ist sie tot?«
    »Nicht lange, würde ich sagen. Maximal vier Stunden,
aber dafür gibt es Spezialisten. Und das Fernsehen. Die TV -Community weiß weltweit längst viel besser Bescheid als
wir. › CSI ‹, ›Navy CIS ‹, ›Bones‹, ›Crossing Jordan‹ und so
weiter. Nichts bleibt meinen TV -Kollegen
verborgen.« Er lächelte Gerhard an. »Leiden Sie auch unter Vergleichen? Sind
Sie eher ein ›Bulle von Tölz‹, ein ›Monk‹, ein ›Wallander‹ oder ›der Adler‹?
Blond wären Sie ja.«
    Gerhard lächelte zurück. »Ehrlich gesagt, keine Ahnung.
Setzen Sie mich vor den Fernseher, und ich schlafe binnen zehn Minuten ein. Ein
toller Effekt.«
    »Zweifellos, ich überlebe ›Dr. House‹ auch nie. Aber
meine Frau liebt ihn. Einen zynischen, drogenabhängigen Krüppel! Bitterböse,
aber brillant. Ich bitte Sie! Tja, so sind Frauen eben.« Der Notarzt zwinkerte
ihm zu.
    »Hmm«, grummelte Gerhard, »mit diesen Vergleichen
werden wir leben müssen. Dann ab mit der jungen Dame zu den Spezialisten. Kann
ich mit Ihrem groben Schätzwert schon mal arbeiten?«
    »Können Sie, alles zwischen drei bis sechs Stunden.«
Er hob die Hand zum Gruß, packte seine Tasche und ging davon.
    Notärzte, Ärzte allgemein – wussten die um ihre
Verantwortung? Wussten sie, was es bedeutete, ob sie einen natürlichen oder
nicht natürlichen Tod attestierten? Wie viele Omas und Opas waren wohl an
Herzversagen gestorben, wo familienintern – sagen wir mal – eine leichte
Modifikation der Medikamente beschlossen worden war? Wie viele Mörder liefen
frei rum? Und umgekehrt, was bedeutete eine Fehldiagnose auf »nicht natürlicher
Tod«, wenn der Verstorbene in Wahrheit ganz normal gestorben war? Oder
unnormal, weil er jung und sportlich gewesen, aber eben doch gestorben war? Was
war das für ein Spießrutenlauf für die Angehörigen, die nicht nur den Verlust
verkraften, sondern auch noch die Attacken von Polizei und Staatsanwaltschaft
durchstehen mussten? Es gab Zahlen, die belegten, wie häufig solche Fehler
vorkamen. Ein kleines Kreuz eines einzelnen Arztes entschied über Entkommen
oder Anklage, über Schuld und Unschuld. Wussten diese Mediziner wirklich, wie
ernst das war, was sie da zu tun hatten?, überlegte Gerhard, als er dem Mann
nachsah.
    Evi war neben ihn getreten. »Wann hat Kassandra
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