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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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grüßte mit seinen Flügeln.
    »San Julian ist in Sicht; wir landen in zehn Minuten.«
    Der Bordfunker hinter ihm gab die Nachricht an alle Stationen der Linie weiter. 
    Auf zweitausendfünfaundert Kilometer, von der Magalhaesstraße bis Buenos Aires, reihten sich die Stationen gleichförmig gestaffelt; aber die, der man jetzt zuflog, erschien nun wie ein letzter Grenzort am Rande der Nacht, gleich einem jener letzten unterworfenen afrikanischen Nester am Rande des Unbekannten. Der Funker schob dem Piloten einen Zettel zu:
    »Es sind so viele Gewitter in der Luft, daß ich die Hörer ganz voll habe davon. Werden Sie in San Julian übernachten?« Fabien lächelte: der Himmel war still wie ein Aquarium, und alle Stationen vor ihnen meldeten: »Klare Luft, kein Wind.« Er antwortete: »Fliegen weiter.«
    Aber der Funker dachte an die Gewitter, die sich sicher da irgendwo eingenistet hatten, wie Würmer in einer Frucht; mochte die Nacht noch so schön sein, sie war doch schon angefressen: etwas in ihm sträubte sich dagegen, sich in dieses verwesungsreife Dunkel hineinzubegeben.
    Während Fabien auf San Julian niederglitt, fühlte er sich müd. Alles, was das Dasein der Menschen behaglich macht, stieg ihm, wachsend, entgegen: ihre Häuser, ihre kleinen Cafes, die Bäume ihrer Promenade. Er war wie ein Eroberer, der am Abend seines Siegs sich über die Lande des Reiches beugt und zum erstenmal bescheidenes Menschenglück gewahrt. Ein Verlangen war in ihm, die Waffen abzulegen, die Schwere und Steifreit seiner Glieder zu spüren, denn Mühsal schaffi zwiefaches Behagen, und hier nur noch ein einfacher Mensch zu sein, der durch sein Fenster hinausschaut auf ein Daseinsbild, das sich nun nie mehr wandelt. Dieses winzige Nest, er hätte es gerne angenommen: hat man einmal gewählt, so gibt man sich zufrieden mit diesem So-und-nicht-anders und kann sein Herz daran wenden. Es gewährt den Segen der Beschränkung, wie die Liebe. Fabien hätte gewünscht, lange Zeit hier zu leben, sein Teil Ewigkeit hier an sich zu nehmen; denn sie erschienen ihm wie etwas Ewiges, da draußen außerhalb seines Ich, diese kleinen Städte, in denen er immer nur eine Stunde verbrachte, und diese Gärten, umhegt von alten Mauern, die er überflog.
    Und die Ortschaft stieg dem Flugzeug entgegen und öffnete sich ihm. Und Fabien dachte an die Freundschaften, an die zärtlichen Mädchen, an die Traulichkeit der weißen Tischtücher, an alles, was sich gemächlich einrichtet auf die Ewigkeit. Und die kleine Stadt glitt schon dicht unter den Flügeln dahin und bot das Innere ihrer geschlossenen Gärten dar, die ihre Mauern nicht mehr beschützten. Aber Fabien wußte, als er gelandet war, daß er nichts gesehen hatte als nur die langsame Bewegung von ein paar Menschen zwischen ihren Steinen. Diese Stadt hielt ihr lebendiges Leben hinter ihrer Unbeweglichkeit verborgen, diese Stadt gab ihr Behagen, ihre Süße nicht preis: um sie zu gewinnen, hätte man auf die Tat verzichten müssen. Als die zehn Minuten Aufenthalt um waren, mußte Fabien wieder scheiden. Er schaute auf San Julian zurück: es war nur noch eine Handvoll Lichter, dann Sterne, dann verlor sich das bißchen blitzender Staub, der ihn zum letztenmal versucht hatte.
    »Ich sehe die Zeiger nicht mehr: ich mache Licht.«
    Er schaltete die Instrumentenbeleuchtung ein, aber die roten Lampen warfen in diesem Dämmerblau nur ein so schwaches Licht auf die Zeiger, daß es sie nicht färbte. Er führte die Finger vor einer Birne vorbei: sie röteten sich kaum. »Zu früh.«
    Indessen stieg die Nacht herauf wie dunkler Rauch und füllte schon die Täler. Die Formen der Ebene unterschied man nicht mehr. Aber dafür blitzten jetzt die Dörfer auf, Sternbilder, die einander antworteten. Und auch er ließ mit dem Finger seine Positionslichter blinken zur Antwort. Die ganze Erde war übersponnen von Lichtgrüßen, jedes Haus zündete seinen Stern an vor der unendlichen Nacht, gleichwie man das Feuer eines Leuchtturms gegen das Meer wendet. Alles, was Menschenleben barg, glitzerte. Fabien schwoll das Herz. Ja, wie in einen Hafen war diesmal die Einfahrt in die Nacht, sacht und schön.
    Er beugte sich zum Schaltbrett. Das Radium der Zeiger begann zu leuchten. Eine nach der andern prüfte der Pilot die Ziffern und war zufrieden. Man saß ganz solide hier in diesem Himmelsraum. Er tippte mit dem Finger an einen Stahlspanten und fühlte das Leben durch das Metall rieseln: dieser Stahl vibrierte nicht, er lebte.
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