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Nachtblind

Nachtblind

Titel: Nachtblind
Autoren: John Sandford
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Pockennarben. Er war – bis auf Alie’e – der Einzige unter den Anwesenden, der keine Jeans trug. Stattdessen war er in einen dunkelgrauen italienischen Anzug und ein offenes schwarzes Hemd gekleidet. An seinem Handgelenk glitzerte ein goldenes Armband mit einem Tennis-Emblem.
    Kopp war nicht gerne in St. Paul oder auch nur in den USA, aber er war nun einmal dazu verdammt, siebzig Dollar teure Unterhosen in männlichem Schnitt, komplett mit Schlitz an der Vorderseite, an amerikanische Frauen zu verkaufen.
    Wie jeder gute Deutsche würde er tun, was zur Ausführung seines Auftrages erforderlich war; aber im Augenblick erregte ihn noch der Gedanke, dass gegen die attraktive Blonde, die gerade den Schauplatz verlassen hatte, beinahe Gewalt angewendet worden wäre. Er kannte ihr Gesicht. Sie war einmal Model gewesen, das wusste er, hatte diesen Beruf aber vor einigen Jahren aufgegeben. Sie sah besser aus denn je; eine tolle Frau, ging ihm durch den Kopf …
    »Wie bitte?«, fragte er. Er hatte nicht verstanden, was Plain zu ihm gesagt hatte.
    »Ich habe mir überlegt, wie wir die Aufnahme machen. Wir verschieben Clark weiter in den Hintergrund, und Alie’e agiert genau in der Mitte … Alie’e, komm her.« Während Alie’e entlang der Planke auf ihn zukam, fuhr Plain fort: »Wir belichten Alie’e und Clark separat und erfassen sie dann zusammen mit dem großen Objektiv. Clark wird aussehen wie der verdammte Mond, der gerade über dem Horizont aufsteigt, und Alie’e wird da drüben im Vordergrund stehen.«
    »Wir brauchen aber die Brustwarze als besonderen Gag«, sagte der Deutsche. »Mit dem großen Objektiv kommt sie nicht deutlich genug zur Geltung.«
    »Für die Amerikaner müssen wir sie sowieso verstecken«, sagte der künstlerische Berater, ein Mann mit rotem Bart und Sommersprossen auf der Glatze.
    »Wir machen beides«, sagte Plain. »Für die Europäer stellen wir den Nippel groß raus. Wir richten einen Spot auf Alie’es linke Körperseite. Alie’e …« Alie’e trat näher, und Plain schob die Finger unter den Riss im T-Shirt und erweiterte ihn, sodass die Brustwarze deutlich zu sehen war. »Wir müssen das mit Klebeband fixieren, und der Nippel muss farblich besser zur Geltung kommen. Wir sollten ein bisschen mehr Make-up drauftupfen.«
    »Aber nicht zu viel«, warf der künstlerische Berater ängstlich ein. »Ihre Haut ist weiß wie Schnee, und noch mehr Make-up auf der Brustwarze würde künstlich wirken.«
    »Das wäre doch gar nicht so verkehrt«, sagte Plain. »Was ist sexyer als ein rot angemalter Nippel?«
    »Für Deutschland trifft das zu, denke ich«, sagte Kopp. »Aber hier in Amerika …«
    »In Amerika ist es genauso sexy wie anderswo, aber es wäre zu viel für unsere großen Frauenmagazine«, sagte Plain. »Bei der Aufnahme für Amerika vereisen wir ihren Nippel, damit er deutlich raussteht und man ihn unter dem T-Shirt sieht, bringen ein wenig Schatten an die Seite, um ihn zusätzlich zu betonen, aber wir verkürzen den Riss, damit er vollständig bedeckt ist, und wir nehmen den Spot weg. Man wird den Nippel trotzdem deutlich sehen – er markiert sozusagen die mentale Titte unter dem T-Shirt.«
    »Du willst meine Brust vereisen?«, fragte Alie’e. »Du willst gottverdammtes Eis auf meine Brust packen? Wir haben höchstens zwölf Grad hier!«
     
     
    Der Deutsche hatte die Augen geschlossen. Dann nickte er vor sich hin. Plain hatte acht Jahre in Miami gearbeitet; dort hatte er sich den Ruf erworben, in seinen Fotografien die Kunst der Mode auf eine dekadente, mit viel Sex aufgeheizte Weise zu präsentieren und dabei extrem verfremdete Szenen nach dem Muster des Themas »Die Schöne und das Biest« darzustellen. Das konnte eigentlich jeder, und viele versuchten es auch, aber Plain hatte ein ganz besonderes, von keinem anderen erreichtes künstlerisches Händchen dafür. Etwas, das direkt Grimms Märchen zu entspringen schien. Wie die Szenerie für die nächste Aufnahme.
    Der Deutsche sah sie deutlich im Geist vor sich, während sich jetzt alle Beteiligten in diesem lächerlichen Schiffsrumpf versammelten, die Lichter aufzuckten, der Gestank des Schweißbrenners sich verbreitete und der Propangas-Heizkörper aufröhrte … Aber er hätte sich diese Szene niemals ausdenken können. Deshalb war er ja letztlich auch nach Minneapolis gekommen – und zahlte Plain das viele Geld für seine Arbeit.
    Plain war ein Mann mit Visionen.
     
     
    Sie arbeiteten den ganzen Rest des Vormittags;
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